"Die Beziehung zwischen Staat und Religion im Islam"


15 341 HS (Pf. 2+6): Staat und Kirche

Hausarbeit an der Freien Universität Berlin

am Fachbereich Politische Wissenschaft

vorgelegt von

Burhan Kesici

(6.Semester)

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Leiter des Seminars: Prof. Dr. Dr. Hans-Joachim Mengel

Semester: Sommersemester 1996


Vorbemerkung

Das Thema meiner wird die Beziehung zwischen Staat und Religion im Islam sein. Anfänglich wollte ich die Arbeit aus einer politologischen Sicht erarbeiten und habe dann gemerkt, daß dies kaum Möglich ist, da der Islam alle Lebensbereiche eines Moslem bestimmt. Um die Beziehung zwischen Staat und Religion im Islam anschaulich darstellen zu können habe ich bei meiner Arbeit neben der politologischen Herangehensweise auch religions- und sozialwissenschaftliche Methoden angewandt.

Im Islam repräsentiert der Staat die islamische Gemeinschaft. Im Kuran wird fortwährend von Gemeinschaften gesprochen die Allahs Gebote befolgen und Verbote unterlassen sollen. Es gibt bestimme islamische Strömungen die sagen, daß der Islam gar keinen Staat benötigt, sofern die Muslime unabhängig und frei ihre Religion praktizieren können. Der Staat soll nur die Souveränität nach außen hin repräsentieren und die Ordnung aufrecht erhalten. Um die Beziehung zwischen Staat und Religion aufzeigen zu können ist es notwendig den Islam und islamische Gesellschaftsstruktur zu kennen.


INHALTSVERZEICHNIS

Vorbemerkung

Literaturverzeichnis

"Staat und Religion im Islam"

  • 1. Einleitung
  • 2. Islam, begriffliche Erklärung
  • 2.1 Tevhid-Glaube (Der Glaube an den einzigen Schöpfer)
  • 2.2 Din (Die Religion)
  • 2.3 Scharia
  • 2.4 Rechte und Pflichten laut der Scharia
  • 2.4.1 Pflichten gegenüber Allah
  • 2.4.2 Pflichten gegenüber sich selbst
  • 2.4.3 Pflichten gegenüber den anderen Menschen
  • 2.4.4 Pflichten gegenüber anderen Lebewesen
  • 2.5 Fikih (Das islamische Recht)
  • 3. Quellen des islamischen Rechts und die Möglichkeit des "Içtihat"
  • 4. "Die Beziehung zwischen Staat und Religion im Islam"
  • 5. Die Notwendigkeit eines Staates
  • 6. Lebensauffassung des Islam
  • 6.1 Islam und Individuum
  • 6.2 Islam und Gesellschaft
  • 7. Islamische Ordnung (Adil Düzen)
  • 8. Beispiel: Stadtstaat Medina
  • 8.1 Wie kam es zu der Staatsgründung?
  • 8.2 War Stadtstaat überhaupt ein Staat im modernen Sinne?
  • 8.3 Wie sah die Struktur des Stadtstaates Medina aus?
  • 8.4 Die Wahl der vier "Rechtgeleiteten Khalifen"
  • 9. Schlußbetrachtung

  • 1. Einleitung

    "Und so richte du unter ihnen nach dem, was Allah hinabgesandt, und folge nicht ihren Lüsten und hüte dich vor ihnen, daß sie dich verführen, (abzuweichen) von etwas von dem, was Allah zu dir hinabsandt..." Im Kuran gibt es eine Menge von solchen Versen die den Geltungsbereich der Offenbarungen festlegen. Die Aussage: "so richte du unter ihnen nach dem, was Allah hinabgesandt,..." wird so verstanden, daß die Gebote Allahs alle Lebensbereiche abdecken. So wird der Islam als eine Staats-, Gesellschafts- und Lebensideologie betrachtet, der auch die Regierungsmacht beansprucht.

    Ich gehe von der These aus, daß es im Islam keine vorgegebene Staatsstruktur gibt. Der Islam sieht weder eine Monarchie, eine Republik, ein Reich noch ein Föderales System vor. Ziel des Islam ist es eine Gemeinschaft zu etablieren in der Allahs Gebote Geltung habe und die Muslime ihren religiösen Pflichten ungehindert nachgehen können. Die Hauptaufgabe des Staates liegt in der Gewährung der beiden Ziele. Wie die Staatsstruktur auszusehen hat kann nur bedingt aus dem Kuran und der Sunna abgeleitet werden. Es sind nur grobe Bestimmungen enthalten die in meiner Arbeit abgehandelt werden sollen. Der Islam schreibt nur die Charaktereigenschaften des Staates vor.

    Anhand dieser Charaktereigenschaften und den heutigen Staatsstrukturen könnte man ein Konstrukt ausarbeiten, wie ein islamischer Staat aussehen könnte. Es gibt zahlreiche Bemühungen in diese Richtung. Ich vertrete die Meinung, daß man mit solch einer Methode keinen islamischen Staat schaffen kann. Der Islam ist Universell, d.h. er ist weder Zeit- noch Ortsgebunden, er ist auch nicht für einen bestimmten Kultur- oder Personenkreis bestimmt. Der Islam sieht die Verschiedenheit der Völker, Kulturen, Hautfarben und Sprachen als von Allah gewollt die keinesfalls ein Hindernis zwischen den Menschen darstellen sollte. Im Islam sollen sich die Menschen näher kommen, ohne ihre eigene Identität aufgeben zu müssen, solange diese sich im Rahmen des Islam aufhalten. Man muß die Eigenschaften der Menschen akzeptieren und anhand dieser eine Gemeinschaft etablieren, die die islamischen Gebote akzeptiert und danach zu leben versucht. Eine Möglichkeit hierfür wäre, daß man die vorhanden Staatstrukturen mit der Zeit so modifiziert, daß sie einen islamischen Charakter bekommen. Mit solch einem Schritt könnte man einen islamischen Staat aufbauen der mit der Tradition und Lebensweise der hiesigen Menschen übereinstimmt. Ich möchte hier deutlich klarmachen, daß ich nicht die Meinung vertrete daß man den Islam modifizieren sollte, so daß er von den Menschen als Staatsideologie akzeptiert wird oder so daß er in die vorhanden Staatsstruktur einfach integriert werden könnte, wie es heute in vielen islamischen Ländern der Fall ist. (Der Islam hat feste Gesetze die keinesfalls verändert werden dürfen. Das würde auch dem Islam widersprechen.) Ich bin der Anschauung, daß ein System nur dann islamisch sein kann, wenn die Menschen den Islam kennen und leben. Es wird nichts nützen, wenn man von heute auf morgen ein System einführt mit sich die Menschen nicht identifizieren. Diese These ist sehr gewagt und wird auch von vielen Muslimen für absurd und unislamisch Gehalten. Ich möchte für die unterschiedlichen Vorstellungen über die Art und Weise wie man einen islamischen Staat konstituieren sollte keine Wertung wie richtig oder falsch vornehmen. Ich finde, daß die unterschiedlichen Standpunkte notwendig sind, damit bei der Findung einer idealen Staatsstruktur ein wissenschaftlicher Diskurs und ein ständiger Veränderungsprozeß stattfinden kann.

    In der folgenden Arbeit möchte ich kurz auf die wichtigsten Aussagen des Islam eingehen die für Gründung eines islamischen Staates von Bedeutung sein könnten. Denn erst wenn man diese verstanden und sie in sein leben integriert hat ist man auch in der Lage einen islamischen Staat zu formen.


    2. Islam, begriffliche Erklärung

    Der Begriff "Islam" kommt aus dem arabischen und heißt übersetzt, sich ergeben, sich fügen bzw. sich unterwerfen. In bezug auf die Religion bedeutet Islam sich den Gesetzen Allahs fügen bzw. unterwerfen. Hierzu gehört der Tevhid-Glaube, d.h. der Glaube, daß es keinen Gott gibt außer Allah und daß Mohammed sein Gesandter ist.

    2.1 Tevhid-Glaube (Der Glaube an den einzigen Schöpfer)

    "ASCH-HADU AN LA ILAHA ILLA´LLAH - WA ASCH-HADU ANNA MUHAMMEDAR RASULU´LLAH" (Ich bekenne, daß es keinen Gott außer Allah gibt - Und ich bekenne, daß Mohammed der Gesandte Allahs ist).

    In dem oben angeführten Bekenntnis (auch Schahada genannt) liegt die gesamte Aussage der islamischen Religion. Mit dem Bekenntnis und dem inneren Glauben, daß es keinen Gott gibt außer Allah und daß Mohammed sein Gesandter ist verpflichtet sich der Moslem die Gesetze Allahs als oberstes Gebot zu akzeptieren und sie einzuhalten. Das Glaubensbekenntnis impliziert den Glauben an den einzigen Schöpfer, die Engel, die heiligen Bücher, die Propheten (auch an die Propheten des Juden- und Christentum), die Vorherbestimmung und dem Jüngsten Tag.

    Mit dem Bekenntnis lehnt der Moslem jede Art von Gesetzen ab, die sich nicht mit den Geboten Allahs vereinbaren lassen. Mit dem Bekenntnis, daß es keinen Gott gibt außer Allah und daß Mohammed sein Gesandter ist, bekundet der Moslem, daß er die von Allah auferlegten individuellen und gesellschaftlichen Verpflichtung akzeptiert und sie zum Lebensmittelpunkt macht.

    Der Mensch muß sich über die Existenz des Schöpfers im klaren sein und sich dies jederzeit vergegenwärtigen. Dies soll durch das tägliche Gebet (fünf mal pro Tag), dem jährlichen Fasten, der Zekat-Steuer und der einmaligen Pilgerfahrt erreicht werden. Außerdem muß der Mensch die Eigenschaften Allahs kennen, damit er sein Leben dementsprechend gestalten kann. Die Erkenntnis, daß Allah allgegenwärtig ist und alle Handlungen registriert beeinflußt die Gedanken, den Geist, den Glauben, das Verhalten und die Taten der Menschen. Erst mit dieser Erkenntnis und dem Wissen über die Erwartungen Allahs von den Menschen kann das Individuum seine Handlung zum Wohlwollen Allahs tätigen. Die Erkenntnis und die daraus resultierende Handlung wird "Iman" (wissen und glauben) genannt. Wer an die Einheit, Eigenschaften, Gesetze, Einladung und an die Belohnung bzw. Bestrafung Allahs glaubt wird als "Mü´min" (jemand der glaubt) bezeichnet. Wer an die oben angeführten Kriterien glaubt und sie im alltäglichen Leben anwendet wird als Muslime bezeichnet.

    Der Islam ist keine Religion der nur das Wohl im Jenseits verspricht, wenn man sich an die Gesetze Allahs hält, sondern auch das Wohl im Diesseits. Alle Handlungen sollen unter dem Motto: "Wohlergehen hienieden ebenso wie Wohlergehen im Jenseits" geschehen. Der Islam ist damit ein Mittelweg zwischen reinem Spiritualismus und reinem Materialismus. Der Islam versucht den "Körper und Geist gleichzeitig zu entwickeln... und ein harmonisches Gleichgewicht für alles Menschliche" zu schaffen.

    2.2 Din (Die Religion)

    Din heißt übersetzt, Unterordnung, Weg, System, Ideologie, der Glaube an die heiligen Gesetze bzw. bindende Ideen und Ideale. Im Islam wird unter dem Din alle Gesetze verstanden, die von Allah herabgesaust und durch die Propheten offenbart wurden. Alle offenbarten Religion hatten die gleiche Botschaft, und zwar der Glaube an den einen Schöpfer, seine Engeln, seine Schriften, seine Propheten, an das Schicksal und an den Jüngsten Tag. Die Quintessenz der Offenbarungen blieb immer die gleiche. Trotz der gleichen Quintessenz änderten sich die Gesetze mit der gesellschaftlichen Strukturen und fortlaufender Herabsendung von Propheten. Je nach Zeit und Gesellschaftsstruktur wurden neue Ordnungen gesandt, die das gesellschaftliche Leben und die Form der religiösen Praktiken neu regelten. Solche Gesetze werden im Islam Scharia genannt. Der letzte Prophet Mohammed hat die endgültige und für immer geltende Form der Scharia gebracht.

    2.3 Scharia

    "Jedem Volk gaben wir Gebräuche, die sie beachteten; drum laß sie nicht hierüber streiten und rufe (sie) zu deinem Herren. Siehe, du folgst wahrlich der rechten Leitung" In dem angeführten Vers wird die Herabsendung von unterschiedlichen Gesetzen bestätigt. Weiterhin heißt es: "Und wir sandten hinab zu dir das Buch in Wahrheit, bestätigend, was ihm an Schriften vorausging, und Amen darüber sprechend. Drum richte zwischen ihnen nach dem, was Allah hinabsandte, und folge nicht ihren Gelüsten, (abweichend) von der Wahrheit, die zu dir gekommen. Jeden von euch gaben wir eine Norm und eine Heerstraße. Und so Allah es wollte, wahrlich er machte euch zu einer einzigen Gemeinde; doch will er euch prüfen in dem, was er euch gegeben....". In diesem Vers wird die Gültigkeit der anderen herabgesandten Gesetze zu Gunsten der neuen islamischen Gesetze aufgehoben. Weiterhin besagt der Vers, daß Allah die Menschen mit den offenbarten Gesetzen prüfen will. Die Menschen sollen die Gesetze Allahs befolgen: "Siehe, wir haben zu dir das Buch in Wahrheit hinabgesandt, damit du zwischen den Menschen richtest, wie dir Allah Einsicht gegeben..." Die kuranischen Offenbarungen sind die letzten herabgesandten Offenbarungen die nicht mehr geändert werden: "...Heute habe ich euch vollendet euern Glauben und habe erfüllt an euch meine Gnade, ...". Somit ist der Kuran für alle Zeiten gültig.

    Im Kuran sind Regeln enthalten, die alle Lebensbereiche abdecken, vom gesellschaftlichen bis hin zum wirtschaftlichen Leben. Es gibt Bereiche wo der Kuran deutliche Regeln aufstellt, in manchen Bereichen spricht der Kuran nur eine Empfehlung aus und in anderen läßt der den Menschen freien Spielraum die von den Menschen je nach Zeit und Gesellschaften selbst ausgefüllt werden können. Der Koran enthält zum größten Teil nur richtungsweisende Anordnungen und bietet damit die Möglichkeit, daß sich die Muslime bzw. Gesellschaft weiterentwickeln können. Der Koran ist wie eine Verfassung aufzufassen die niemals verändert werden darf, aber sie kann je nach Zeit und Bedarf mit Zusatzgesetzen ergänzt werden.

    Wie man die Anordnungen, Empfehlungen bzw. Spielräume der Scharia deutet und sie als bindende Gesetze (Fikih) macht hängt von der mentalen Haltung (Tassavuf) der Menschen ab.

    2.4 Rechte und Pflichten laut der Scharia

    Der Islam räumt den Menschen bestimmte Rechte ein und bürgt ihnen gleichzeitig bestimmte Pflichten auf. Die Rechte und Pflichten kann man grob in vier Kategorien aufteilen:

    1. Pflichten gegenüber Allah,

    2. Pflichten gegenüber sich selbst,

    3. Pflichten gegenüber den anderen Menschen,

    4. Pflichten gegenüber anderen Lebewesen.

    Die oben angeführten Rechte und Pflichten stellen den Eckpfeiler des Islam dar und müssen von jeden Moslem eingehalten und beachtet werden. Konkret werden diese Rechte und Pflichten in der Scharia beschrieben.

    2.4.1 Pflichten gegenüber Allah

    Die erste Pflicht der Muslime gegenüber Allah ist in dem islamischen Glaubensbekenntnis (LA ILAHA ILLA´LLAH; Es gibt kein Gott außer Allah) enthalten. Das Bekenntnis impliziert die Ablehnung jeder Art von Götzen.

    Die zweite Pflicht der Muslime ist die uneingeschränkte Akzeptanz der Offenbarungen Allahs und damit auch den Propheten als Wegweiser.

    Die dritte Pflicht ist der aufrichtige Glaube an Allah. Diese Pflicht beinhaltet die Erfüllung der von Allah gewollten und in dem Kuran und in der Sunna festgehaltenen Anordnungen.

    Die vierte Pflicht ist die Andacht an Allah. Die islamische Art der Andacht ist sehr breitgefächert. Das Gebet, die Pflege der Freundschaft, das Spenden an hilfsbedürftige, das legale Geldverdienen, das Ernähren der Familie usw. werden als Andacht verstanden, wenn es unter dem Aspekt getätigt wird, um die Gunst Allahs zu bekommen.

    Die Pflicht gegenüber Allah kommt vor all den anderen Pflichten, auch wenn dabei die anderen Pflichten beeinträchtigt bzw. überschnitten werden.

    2.4.2 Pflichten gegenüber sich selbst

    Der Mensch ist gegenüber sich selbst am ungerechtesten und fügt sich das meiste Leid zu, da der Mensch nur beschränkt in der Lage ist seine Begierde zu zügeln. Einige Menschen geben sich ganz den weltlichen und andere den geistigen Genüssen hin. Der Islam bevorzugt aber den Mittelweg.

    Die Scharia besagt, daß die Menschen physische, moralische, geistige und seelische Bedürfnisse haben die befriedigt werden müssen. Die Scharia legt den Rahmen fest, in der die Befriedigung der Bedürfnisse stattfinden kann.

    2.4.3 Pflichten gegenüber den anderen Menschen

    Die Scharia besagt zwar, daß die eigenen Bedürfnisse befriedigt werden sollen, dabei ist aber zu beachten, daß die Rechte anderer nicht beschnitten werden. Die Scharia versucht einen gesellschaftlichen Interessenkonflikt dadurch zu verhindern, indem sie ein Gleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der einzelnen Personen schafft. Die Scharia verbietet jegliches Handeln mit dem die Rechte anderer eingeschränkt bzw. verletzt werden.

    Das gesellschaftliche Wohlergehen ist für den Islam von sehr hoher Bedeutung. Daher stellt der Islam auch die Regel fest, wie man sich in einer Gesellschaft zu verhalten hat und auf was man achten muß. Mit der Geburt integriert sich der Mensch in ein soziales Gefüge (Familie) die nach islamischen Regeln konstituiert sein sollte. Im späteren Verlauf regelt der Islam auch die Beziehung zu den näheren Verwandten und der Umgebung des Menschen. Durch gegenseitige Rechte und Pflichten lernt der Mensch den Umgang mit seinen Mitmenschen.

    2.4.4 Pflichten gegenüber anderen Lebewesen

    Alle Lebewesen sind dem Menschen untergeordnet, d.h. aber nicht, daß man ihnen Leid zufügen darf. Man darf sie für die Arbeit benutzen, aber ohne sie schwer zu belasten. Tiere dürfen für den Verzehr geschlachtet werden. Die Schlachtung unterliegt einer Prozedur die in der Scharia festgelegt ist.

    2.5 Fikih (Das islamische Recht)

    Das islamische Recht basiert auf den Aussagen des Koran und der Sunna des Propheten Mohammed. Aus den kuranischen Geboten und der Sunna werden allgemeingültige und zeitspezifische Gesetze erlassen. Diese Gesetze werden Fikih (Recht) genannt. In laufe der Zeit haben sich vier große und anerkannte Rechtsschulen herausgebildet:

    1. Die Hanifitische Rechtsschule,

    2. Die Malikitische Rechtsschule,

    3. Die Schafitische Rechtsschule,

    4. Die Hanbelitische Rechtsschule.

    Diese Rechtsschulen haben sich ca. 200 Jahre nach dem Propheten Mohammed etabliert. Obwohl es unter den vier Rechtsschulen Meinungsdifferenzen gibt geht man im allgemeinen davon aus, daß alle Rechtsschulen legitimiert sind, d.h. daß sie die Wahrheit repräsentieren. Die Unterschiede resultieren aus den verschiedenen Quellen und Auffassungen der Rechtsschulen.

    Die Erkenntnisse dieser Rechtsschulen werden noch heute als Grundlage bei der Ausarbeitung von neuen Gesetzen und Richtlinien verwendet.


    3. Quellen des islamischen Rechts und die Möglichkeit des "Içtihat"

    Die Hauptquellen des Islam sind:

    1. Der Kuran

    2. Die Sunna

    3. Kiyas

    4. Içtihat.

    Der Kuran ist die Hauptquelle des Islam und anhand der Sunna können die Muslime den Sinn und die Anwendungsmöglichkeiten der islamischen Gebote bzw. Verbote ersehen. Da der Kuran überwiegend allgemeingültige Aussagen trifft ist die Sunna zum Verstehen der Offenbarungen unabdingbar.

    Der Islam erhebt den Anspruch Universell zu sein hat daher auch bestimmte Freiräume gelassen, die von den Menschen je nach Zeit und Ort selbst ausgefüllt werden können. Der Islam soll den Menschen das Leben erleichtern und nicht erschweren. Das geht aus sehr vielen kuranischen Versen und der Sunna des Propheten hervor. Daher zwingt der Islam die Muslime auch nicht in eine engdefinierte Struktur hinein, in der keine Veränderung stattfinden können. Der Islam erlaubt nicht nur die Weiterentwicklung, fördert sie sogar auch noch. Die Weiterentwicklung bzw. Veränderungen bringen auch zeitspezifische und ortsgebundene Neuheiten mit sich die nicht im Kuran geregelt sind. Hierzu bietet der Islam die Möglichkeit Analogien aus dem Kuran und der Sunna zu ziehen und gültige Gesetze daraus zu machen. Diese Möglichkeit wird Kiyas (Vergleich, Analogie) genannt und stellt die dritte Quelle des Islam dar. Die Prozedur des Kiyas wurde von großen gelehrten vorgenommen und wird in der Gegenwart nicht mehr praktiziert, da es erstens keine einheitliche Institution gibt die alle Muslime repräsentiert und zweitens weil alle Bereiche des alltäglichen Lebens schon abgedeckt sind die zu behandeln wären. Falls kein Kiyas zustande kommen kann, da keine Analogie im Kuran und in der Sunna gefunden wird, so gibt es die Möglichkeit des Içtihat. Içtihat ist die Festsetzung von bestimmten Regeln, nach dem man den Kuran, die Sunna und evtl. die Kiyas analysiert und keine Regeln gefunden hat, wo das Problem angesprochen wird. So entscheidet ein Gelehrter oder auch mehrere Gelehrte nach den örtlichen, zeitlichen, kulturellen und politischen Gegebenheiten ohne dabei die vom Islam vorgegebenen Schranken zu durchbrechen.

    Wenn man eine Wertigkeit der Quellen vornehmen würde, so müßte man sagen, daß die Aussagen des Kuran und der Sunna allgemeingültig sind und zu keiner Zeit mißachtet werden dürfen. Kiyas stellt das dritte Standbein des Islam dar und ist bindend. Im Kiyas steckt die Erfahrung und die Arbeit einer jahrhundertelangen Entwicklung und vieler großer und allgemein anerkannter Gelehrter. Içtihat ist nur bedingt bindend, d.h. jedem ist es freigestellt, ob der die Içtihat-Regeln akzeptiert oder nicht. Da es im Islam keinen Klerus gibt sind die Menschen selbst dazu verpflichtet die Wahrheit zu finden. Wenn jemand die Möglichkeit hat durch seine Bildung selber bestimmte Regeln vom Kuran und von der Sunna herauszuleiten, so kann er es tun. Diese Regeln binden nur ihn und keinen anderen. Da aber die meisten Menschen hierzu nicht in der Lage sind fügen sie sich an bestimmte Gelehrte deren Içtihat sie auch für sich akzeptieren. Die Içtihat-Entscheidungen sind in der islamischen Welt sehr zerstritten, da die Entscheidung subjektiv, ortsgebunden, kulturabhängig, problemspezifisch usw. gebunden sind. Da die Menschen eine Sache unterschiedlich auffassen sind ihre Entscheidungen auch unterschiedlich.


    4. "Die Beziehung zwischen Staat und Religion im Islam"

    Das islamische Recht ist kein theoretisches Konstrukt, welches aufgestellt wurde mit dem Ziel die Menschen in dieses Konstrukt zu integrieren. Das islamische Recht ist das Produkt der Lebensweisen und der fortwährenden Entwicklung der islamischen Gesellschaften. Der Islam bürgt jedem nur soviel auf wie er es verkraften kann. Daher versucht der Islam die Menschen erst zu erziehen und den Iman einzuflößen und erst dann werden bestimmte Anforderungen gestellt. So sind die kuranischen Offenbarungen grob in zwei Kategorien zu unterteilen:

    1. Offenbarungen die den Tevhid-Glauben an die Menschen einflößen

    2. Offenbarungen die Personen mit dem Tevhid-Glauben leiten.

    Wenn man sich die zeitliche Herabsendung der Offenbarungen anschaut, so wird man bemerken, daß in Mekka in dem Zeitraum von 610-622 n.Chr. eher Gebote über die Andachtsformen gesandt wurden. Diese Gebote werden "Usul" (Wurzel) genannt und bilden die Basis des Iman und des Tevhid-Glauben. Erst mit der Hedschra (Aus- bzw. Einwanderung) nach Medina im Jahre 622 kamen die "Ahkam" (Regeln) für deren Anwendung eine staatliche und politische Unabhängig (Autorität) vorhanden sein muß. Die "Ahkam"-Gebote wurden in einem Zeitraum von 10 Jahren und je nach bedarf und herabgesandt.


    5. Die Notwendigkeit eines Staates

    Die Notwendigkeit eines islamischen Staates resultiert aus der Tatsache, daß der Islam nicht nur das individuelle Leben, sondern auch das gesellschaftliche Leben regelt. Damit eine Harmonie zwischen dem privaten und dem öffentlichen erreicht werden kann, muß es einen Staat geben der die Beziehung aufbaut und aufrecht erhält. Der Staat hat die primäre Aufgabe eine Ordnung zu schaffen, wo die Muslime frei ihre Religion ausleben können. In einer "kaputten" Ordnung kann der Islam nicht gelebt werden, daher hat der Moslem die Pflicht sich entweder aus solch einer Gesellschaft zu entfernen oder sie zu ändern. Das Individuum ist alleine nicht in der Lage eine islamsiche Gesellschaft zu konstituieren und nach islamischen Prinzipien zu leben. Ein islamisches Leben ist nur in einer islamischen Gesellschaft möglich und daher wird ein Staat gebraucht der solch eine Gesellschaft errichtet. Der islamischer Staat ist als ein Konstrukt der Ideologie bzw. des Glaubens zu verstehen für den die geographischen Grenzen, die ethnische Herkunft der Menschen und ihre Sprache keine Rolle spielt.

    Außerdem verhängt der Islam bestimmte Strafen (z.B. das Strafrecht) die nur durch eine staatliche Gewalt vollzogen werden können. Laut Falaturi und Tworuschka macht das Strafrecht in der Scharia nur 3% aller Rechtsnormen aus.

    Im Kuran gibt es eine menge von Versen, die die Menschen dazu auffordern Allahs Geboten zu horchen und sie im Alltag einzusetzen: "Und haltet fest an Allahs Seil insgesamt und zerfallet nicht und gedenket der Gnaden Allahs gegen euch, ... Also macht euch Allahs seine Zeichen klar, auf daß ihr euch leiten lasset." In diesem Vers wird darauf aufmerksam gemacht, daß der reine Glaube nicht ausreicht. Man muß sich von den Geboten leiten lassen. Weiterhin werden die Menschen dazu aufgefordert, daß sie sich zu einer Gemeinschaft zusammentun sollen, die die Menschen zum Guten hinführen und vom Unrecht abhalten: "Und daß aus euch eine Gemeinschaft wird, einladend zum Guten und gebietend, was Rechtens ist, und verbietend das Unrecht; und jene - ihnen wird´s wohl ergehen.

    Allah fordert die Menschen nicht nur auf seine Gebote einzuhalten, Allah ermahnt die Menschen auch dies zu tun: "Verflucht sind die Ungläubigen unter den Kindern Israel durch die Zunge Davids und Jesus, des Sohnes der Maria; solches, dieweil sie rebellisch waren und sich vergingen; sie verboten einander nicht das Verwerfliche, das sie begingen, Wahrlich, schlimm ist ihr tun!" Die Bedeutung dieses Verses würde besser zur Geltung kommen, wenn man es unter religionswissenschaftlichen Aspekte analysieren würde. Da der Islam nur wenige solcher Androhungen tätigt geht man davon aus, daß ihre Inhalte desto stärker zu werten sind.

    Für diese Arbeit ist es wichtig zu wissen, daß einer der Hauptaufgaben der Gemeinschaft darin liegt, daß man die Gemeinschaftsmitglieder von verbotenen Handlungen abhalten und zum Guten hinleiten muß.


    6. Lebensauffassung des Islam

    Ziel es Islam ist es, eine Ordnung zu schaffen in der das Individuum, integriert in einer Gesellschaft, seinen religiösen Pflichten nachgehen kann ohne dabei in ein Interessenkonflikt zwischen dem weltlichen und dem religiösen zu geraten. Daher regelt der Islam das individuelle und gesellschaftliche Leben der Muslime. Für ein harmonisches Zusammenspiel zwischen dem privaten und öffentlichen Leben spielt die Lebensauffassung eine wichtige Rolle.

    "Die Lebensfähigkeit einer Gesellschaft, eines Volkes, einer Kultur hängt zum großen Teil von der Lebensphilosophie ab, die diese Gesellschaft, dieses Volk besitzt und anwendet." Der Islam bestimmt die Lebensphilosophie der Muslime, in dem er bestimmte Verhaltensregel in bezug auf das Individuum und der Gesellschaft aufstellt die von jedem eingehalten werden müssen.

    Im folgenden soll die Bedeutung des Individuum und der Gesellschaft im Islam analysiert werden.

    6.1 Islam und Individuum

    Dem Menschen wird die Ehre zuteil Allahs Vertreter auf Erden werden zu können: "Und als dein Herr zu den Engeln sprach: "Siehe, ich will auf der Erde einen einsetzen an meiner Statt", ...","... ich erschaffe einen Menschen aus trocknem Lehm, aus geformten Schlamm: Und wenn ich ihn gebildet und ihm von meinem Geiste angehaucht habe, so fallet anbetend vor ihm nieder." Die Menschen bekommen die Möglichkeit durch ihren Iman und ihrem Verhalten (Andacht und religiöse Ausübung) eine so hohe Stellung einzunehmen, die nicht einmal den Engel zu teil wird. Das ist auch aus dem folgenden Vers ersichtlich, wo Allah den Engel befahl sich vor Adam niederzuwerfen und ihm die Ehre zu erweisen: "Und als wir zu den Engeln sprachen: "Werfet euch nieder vor Adam", da warfen sie sich nieder bis auf den Iblis, der sich in Hoffart weigerte und einer Ungläubigen ward." Allahs Vertreter auf Erden zu sein bedeutet nicht, daß man übermenschlich sei.

    Diese Ehre bringt auch bestimmte Verpflichtungen mit sich die im Kuran definiert werden. Zu den Pflichten der Menschen gehört das Dienen an Allah: "Und diene deinem Herrn, bis die Gewißheit zu dir kommt.". Weiterhin heißt es: "Und die Dschinn und die Menschen habe ich nur dazu erschaffen, daß sie mir dienen.", "Glaubt ihr etwa, wir hätten euch zum Scherz erschaffen, und daß ihr nicht zu uns zurückkehren müßet?" In den oben angeführten Versen wird klar deutlich, daß die Menschen zu einem bestimmten Zweck erschaffen wurden, und zwar damit sie Allah dienen. Jedem Menschen ist es freigestellt, ob er sich den Geboten Allahs fügt oder nicht: "Es sei kein Zwang im Glauben. Klar ist nunmehr unterschieden das Recht vom Irrtum; und wer den Tâghût* verleugnet und an Allah glaubt, der hält sich an der stärksten Handhabe, in der kein Spalt ist; und Allah ist hörend und wissend." Die Menschen können sich zwischen dem Guten und Schlechtem, also zwischen Allahs Geboten und den Götzen entscheiden. Aber Allah macht auch darauf aufmerksam, daß es ein Jenseits gibt wo die Menschen nach ihren Taten belohnt oder bestraft werden: "Siehe, wir machen die Toten lebendig und wir schreiben auf, was sie zuvor taten, und ihre Spuren und alle Dinge haben wir aufgezählt in einem deutlichen Vorbild." . Somit werden im Jenseits die Sünder von den Nichtsündern getrennt. Das irdische Leben besteht aus lauter Prüfungen die der Mensch entweder erfolgreich besteht oder nicht besteht. Für ein erfolgreiches Abschließen gibt es die Gunst Allahs und beim versagen zieht man den Zorn Allahs auf sich.

    6.2 Islam und Gesellschaft

    "O ihr Menschen, siehe, wir erschufen euch von einem Mann und einem Weib und machten euch zu Völkern und Stämmen, auf daß ihr einander kennet. Siehe, der am meisten Geehrte von euch vor Allah ist der Gottesfürchtigste unter euch;..." In diesem Vers wird deutlich gemacht, daß der Ursprung aller Menschen Adam und Eva seien und daß damit eine Beziehung zwischen den Menschen vorhanden ist. Die Menschen werden dazu Aufgefordert über die Unterschiede hinwegzusehen, in dem sie den Auftrag erteilt bekommen sich gegenseitig kennenzulernen, denn "Die Gläubigen sind Brüder; so stiftet Frieden unter euern Brüdern und fürchtet Allah; vielleicht findet ihr Barmherzigkeit." Die Menschen sollen sich nicht nur kennenlernen, sondern auch Frieden stiften. Diese Anordnung wird als Befehl und als eine Andacht formuliert, denn das Frieden stiften ist ein Akt der Gottesfurcht und damit ein Akt der Andacht der zur Barmherzigkeit Allahs führen könnte. In einen Hadis heißt es, daß man keinen richtigen Iman habe, wenn man seine Mitmenschen nicht liebt. In einem weiteren Hadis heißt es, daß es im Jenseits Menschen geben wird, die weder zu den Propheten gehören noch zu den Schehid´s (Personen die im Namen Allahs umgekommen sind), aber dennoch eine so hohe Stellung haben werden, daß sie von den Propheten und Schehid´s bewundert werden. Auf die Frage hin, wer die Menschen sein antwortete der Prophet, daß das Menschen sein, die ihre Mitmenschen nur zum Wohlgefallen Allahs liebten.

    Eine weitere gesellschaftliche Aufgabe wird Kuran folgendermaßen artikuliert: "... helfet einander zur Rechtschaffenheit und Gottesfurcht und helfet einander nicht zur Sünde und Feindschaft." Die Gesellschaft hat damit die Aufgabe die Menschen zu guten Taten zu animieren und von schlechten Taten abzuhalten. So ist es nicht verwunderlich, daß manche Andachten nur in Form einer Gemeinschaft vollbracht werden können, z.B. Festagsgebet, Freitagsgebet, Dschihad usw.

    Alltägliche und notwendige Handlungen eines Menschen können in einer Gemeinschaft zu viel Tugend führen, wenn das Miteinanderleben zum Wohlgefallen Allahs geschied. Hierzu könnte man alle Tätigkeiten zählen die nicht gegen die Islamischen Gebote verstoßen, bspw. das miteinander Leben, Reden, Essen, Schlafen usw. Diese Handlungen sind zwar für den Menschen triviale Handlungen können aber zu Tugend führen, wenn diese unter dem Vorsatz zur Gewinnung der Gunst Allahs geschehen.

    Der Islam versucht eine Beziehung zwischen dem Individuum und der Gesellschaft zu schaffen, in dem er triviale Handlungen als eine Art Andacht bewertet. Der Mensch hat Möglichkeit als Glied einer Gesellschaft religiöse Handlungen zu vollbringen die er als einzelner nicht bewältigen könnte. Hierzu wurden viele Gebote und Andachtsformen herabgesandt die nur in einer Gemeinschaft vollzogen werden können. Auch individuelle Andachtsformen, wie z.B. das Beten werden in einer gemeinsamen Handlung höher bewertet als wenn man es alleine tun würde (z.B. das Beten mit anderen in einer Moschee ist 27 mal tugendhafter als wenn man es alleine tun würde).


    7. Islamische Ordnung (Adil Düzen)

    Im folgenden soll eine theoretischer Ansatz analysiert werden mit der eine islamische Ordnung etabliert werden könnte. Diese Ordnung heißt "Adil Düzen" (Gerechte Ordnung) und ist das Produkt jahrelanger wissenschaftlicher Arbeit. In diesem Abschnitt soll keinesfalls die ganze Arbeit analysiert werden, da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Ich möchte hier kurz auf die Leitgedanken eingehen.

    Das Konzept dieser Theorie ist die zeitliche Unabhängigkeit des islamischen System und deren Originalität aufzuzeigen. Es soll eine Ordnung entstehen in der nicht die Macht, sondern das Hakk regieren soll. Die Theorie soll hierbei nur richtungsweisende Ansätze formulieren, ohne dabei konkreter auf bestimmte Problemstellungen einzugehen. Die Theorie geht davon aus, daß die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umstände sich ständig ändern und daß daher für spezifische Fragestellungen keine allgemeingültige Anworten gefunden werden können. Daher versucht die Theorie im wissenschaftlichem (ilmî), moralischem (ahlâkî), politischem (siyâsî) und wirtschaftlichem (iktisadî) Bereich allgemeingültige und richtungsweisende "Wahrheiten" aufzustellen und "Unwahrheiten" abzulehnen.

    Die Theorie geht davon aus, daß die Beziehung zwischen Körper und Geist durch die Eigenschaften Denken, Fühlen, Willenskraft und Gewohnheit besteht. Diese Eigenschaften bringen bestimmte Bedürfnisse hervor. Das Denken regt zum forschen, das Fühlen zur Moral, die Willenskraft zum materiellen und die Gewohnheit zum politischen an. Durch das Forschen kann der Mensch zwischen Richtig und Falsch unterscheiden. Mit der moralischen Eigenschaft kann der Mensch zwischen Gut und Schlecht unterscheiden. Durch die Willenskraft neigt der Mensch zur Unterscheidung zwischen Nützlichem und Schädlichem. Und mit der Eigenschaft der Gewohnheit kann der Mensch zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit unterscheiden.

    Man geht davon aus, daß die Gemeinschaftsbildungen zur Befriedung der Bedürfnisse entstehen. Die Menschen bilden bestimmte Einrichtung (z.B. Staat, Universitäten, Betriebe, Kulturanstalten, Sozialanstalten usw.) die das gemeinsame Miteinanderleben regeln und zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse beitragen. Die Tätigkeiten dieser Einrichtungen richten sich an den Weltanschauungen der Gemeinschaften. Ziel der Theorie ist es, daß bei der Befriedigung der Bedürfnisse die islamischen Aspekte den Akzent angeben sollen. Denn wenn man den Menschen eine islamische Bildung und Moral gibt, so werden sie auch im wirtschaftlichen und politischen Bereich die islamischen Gebote einhalten.

    Der Grundgedanke ist also die Befriedigung der Bedürfnisse im islamischen Rahmen. Auf diesen einen Satz ist die ganze Theorie fixiert. Da der Islam keine bestimmte Staatsstruktur vorsieht kann durch eine islamische Erziehung, Moral, Wirtschaft und Politik eine islamische Gesellschaft entstehen. Bei der Anwendung dieser Theorie ist gegenwärtige Staatsform irrelevant, da man nicht eine bestimmte Staatsstruktur, sondern eine neue Gesellschaft etablieren will. Eine Gesellschaft in der es mehr Solidarität gibt und wo die Menschen frei nach ihrem Glauben leben können.


    8. Beispiel: Stadtstaat Medina

    In diesem Kapitel soll die Struktur des ersten islamischen Staates (Stadtstaat Medina) untersucht werden. Speziell soll dabei auf die Gründungsgründe, Führung und zum Schluß auf die Wahl der Staatsoberhäupter eingegangen werden.

    8.1 Wie kam es zu der Staatsgründung?

    Der Druck, der in Mekka gegenüber dem Propheten und den Muslimen immer größer wurde veranlaßte die Muslime zu der Hedschra nach Medina im Jahre 622.

    Der Grundstein für die erste islamische Staatsgründung wurde vor der Hedschra mit dem "2.Akabe Abkommen" gelegt. Bei diesem Abkommen ging es darum, daß 75 muslimische Personen (73 männlich und 2 weiblich) die aus Medina stammten dem Propheten ihren gehorsam bekundeten. Sie versprachen jederzeit an der Seite des Propheten zu sein und ihn im Falle eines Überfalles zu beschützen. Konkret wurden im Abkommen folgende Punkte fixiert:

    1. Der islamische Staat war gegründet. Der Prophet sollte die Staatsaufgaben leiten. Die Muslime versprachen ihm folgen würden.

    2. Die anwesenden versprachen die Ordnung des Staat zu schützen und sich vom Schlimmen zum Guten abzuwenden. (Im Grunde handelt es sich hier schon um das islamische Recht, denn die Quintessenz des Islam liegt hier drin)

    3. Man würde den Propheten schützen und ihn unterstützen.

    4. Der Staat sollte geschützt werden.

    Als der Prophet dieses Versprechen bekam verkündete er seinen Gefolgsleuten in Mekka, daß sie nach Medina auswandern könnten, da sie dort Geschwister hätten, die ihnen Unterkunft zur Verfügung stellen und ihnen Beistand leisten würden.

    Im Jahre 622 fand die Hedschra statt. Kurz nach seiner Ankunft lies er eine Verfassung mit dem Namen "kitâb" und "sahife" anfertigen. Bei der Fertigstellung dieser Verfassung wurden die jüdischen und christlichen Religionsgeinschaften mit einbezogen mit dem Ziel eine gemeinsame Gemeinschaft etablieren zu können. Die Verfassung hatte insgesamt 47 Artikel (je nach Aufschlüsselung kommen manche Personen auf 52 Artikel). In der Verfassung von Medina waren nur die grundlegenden Zuständigkeiten und Verpflichtungen geregelt. Manche Autoren gehen davon aus, daß die Verfassung von Medina die erste schriftlich fixierte und gültige Verfassung der Welt war, obwohl es schon vorher Verfassungen gab, wie bei den alten Griechen und Chinesen. Diese wurden aber nicht angewandt.

    Das Interessante an dieser Verfassung war, daß Problemen die zwischen Gemeindemitgliedern, die einer anderen Gemeinde (der jüdischen oder christlichen) angehörten durch den Propheten geschlichtet werden sollte (Artikel 23). Dem Artikel 23 kann man entnehmen, daß die Muslime die Vorherrschaft innerhalb der Gemeinschaft anstreben sollen, wie es der Prophet in Medina getan hat.

    In der Verfassung waren Bestimmungen über das Verhalten und die Beziehungen zwischen den Gemeindemitgliedern enthalten. Laut Verfassung sollten alle Handlungen unterlassen werden, womit andere Gemeindemitglieder geschädigt werden könnten (Artikel 37b). Die Solidarität der Gemeindemitglieder sollte durch einen Beistandspakt (Artikel 37a) gestärkt werden. Die Verfassung gewährte allen Mitgliedern Religions- und Handlungsfreiheit im Artikel 25a.

    Da die Verfassung sehr kurz ist und nur wenig Aufschluß über die damaligen Verhältnisse gibt wäre es wichtig ihre die praktische Anwendung zu analysieren. Dies soll aber nicht Gegenstand meiner Arbeit sein. Es ist wichtig zu Wissen, daß ein Miteinadnerleben durch Verträge geregelt sein muß.

    8.2 War der Stadtstaat überhaupt ein Staat im modernen Sinne?

    Unter einen Staat versteht man eine Gemeinschaft, die eine geistige Persönlichkeit, Souveränität, Vorschriften (Verfassung) und Grenzen hat.

    Nach den oben angeführten Kriterien müßte die Frage, ob der Stadtstaat Medina ein Staat im modernen Sinne war bejaht werden, denn die etablierte Gemeinschaft hatte eine Persönlichkeit, d. h. daß sie sich zu einem Ideal bekannte. Sie hatte eine anerkannte Souveränität, bestehenden Grenzen und eine Verfassung.

    8.3 Wie sah die Struktur des Stadtstaates Medina aus?

    Wie oben schon erwähnt war der Stadtstaat Medina ein Zusammenschluß von unterschiedlichen Gemeinschaften die nach innen Autonom waren und nach außen eine Gemeinschaft darstellten. Man kann sagen, daß der Stadtstaat eine Art Konföderation war. An der Spitze des Staates war der Prophet Mohammed. Er bekleidete nicht nur das Amt des Staatsoberhauptes, sondern auch Amt des religiösen und geistigen Führers. Seine Stellung brachte es mit sich, daß er sich um alle menschlichen Belange kümmerte, seien es nun juristische, moralische, wirtschaftliche oder auch politische Belange.

    Seine Moschee wurde zu einem Zentrum umgewandelt, wo er die Staatsgeschäfte führte, die Verteidigungsangelegenheiten klärte, die Menschen ausbildete und wo die religiösen Andachten stattfanden.

    Trotz der Tatsache, daß die Gemeindemitglieder die Stellung des Propheten akzeptierten und alle seine individuellen Entscheidungen uneingeschränkt ausführten zog der Prophet es vor, die Meinungen der Gemeindemitglieder bei wichtigen Angelegenheiten anzuhören und beim Gefallen auszuführen. Im Islam bezeichnet man solch eine beratende Kommission "Schura" (Rat). Anhand der Sunna kann man leicht feststellen, daß der Prophet sich des öfteren an solch einen Rat gewandt hat. Der Kuran besagt, daß die Muslime "... ihre Angelegenheiten in Beratung untereinander (erledigen) und von dem, womit wir sie versorgten,..." Gebrauch machen sollen.

    8.4 Die Wahl der vier "Rechtgeleiteten Khalifen"

    Als der Prophet verstarb hatte er keinen Nachfolger bestimmt der die Staatsgeschäfte führen sollte. Weder im Kuran noch in der Sunna waren Verfahren festgelegt, die die Nachfolge bzw. die Wahl eines Staatsoberhauptes festlegten. Hinzu kam noch die Frage, ob der Nachfolger des Propheten auch alle seine Tätigkeiten (hier sind die politischen, religiösen und geistigen Tätigkeiten gemeint) wahrnehmen sollte?

    Diese Fragen sind heute noch aktuell, wenn es darum geht wie ein zukünftiger islamischer Staat organisiert sein sollte.

    Das Wahlverfahren mit denen die vier "Rechtgeleiteten Khalifen" gewählt wurden ist sehr wichtig, da anhand dieser Möglichkeiten die Struktur eines zukünftigen islamischen Staates gestaltet werden könnte.

    Die Wahl eines Nachfolgers für den verstorbenen Propheten war mit Streitigkeiten verbunden. Es kursierten drei verschiedene Möglichkeiten für die Bestimmung eines Nachfolgers:

    1. Die Ureinwohner Medinas vertraten die Meinung, daß der Nachfolger einer von ihnen sein sollte.

    2. Der Nachfolger sollte vom Stamm der Kuraischi sein, also dem Stamm des Propheten.

    3. Die Haschemiten wollten, daß der Nachfolger aus der Familie des Propheten auserwählt werden sollte.

    Die einflußreichen Personen Medinas trafen sich an einem Ort und Diskutierten das Verfahren zur Bestimmung eines Nachfolgers aus. Nach einer lange Prozedur wurde schließlich Abu Bakir von den Anwesenden zum Khalifen gewählt. Als Abu Bakir im Sterbebett lag bestimmte er Omar zu seinem Nachfolger. Damit hatte Abu Bakir ein neues Verfahren eingebracht mit dem ein Staatsoberhaupt gewählt wurde. Omar führte wiederum ein neues Verfahren ein, indem er eine Kommission bilden lies die den Nachfolger bestimmte. Hierzu bediente sich die Kommission einer Wahlumfrage und erklärte den Sieger dieser Umfrage zum Nachfolger Omars. Othmann ging als Sieger hervor. Als Othmann verstarb ohne einen Nachfolger bestimmt zu haben stellte sich erneut die Frage, wie der Nachfolge ermittelt werden sollte? Nach langem hin und her wurde Ali durch den Wunsch einer breiten Öffentlichkeit als Khalif bestimmt.

    Anhand der oben angeführten unterschiedlichen Wahlprozeduren kann man sehen, daß das Wahlverfahren für Bestimmung eines Khalifen bzw. politischen Führers keine bedeutende Rolle spielt. Im Islam ist nicht die Wahlprozedur sondern der Schwureid (biad) den man gegenüber einem Staatsoberhaupt entgegenbringt ausschlaggebend.

    Die Wahl eines Staatsoberhauptes oder eines "Emir" ist eine religiöse Pflicht. Laut einem Hadis sollen drei Personen die zusammenkommen einen Emir unter sich wählen und seinen Anweisungen befolgen.


    9. Schlußbetrachtung

    Der Islam sieht eine Einheit zwischen Staat und Religion vor. Sie sind von einander nicht zu trennen. Meine Analyse hat mir gezeigt, daß in diesem Punkt alle Muslime sich einig sind. Die Differenzen entstehen erst in der Struktur des islamischen Staates. Nach meiner Analyse sehe ich mich in meiner These gestärkt, daß sich ein zukünftiger islamischer Staat an den Gegebenheiten zu orientiert hat. Und zwar in dem erst das Individuum, dann die Gesellschaft und zum Schluß der Staat islamisch geprägt wird. Selbstverständlich basiert die Beziehung zwischen Individuum, Gesellschaft und Staat auf Gegenseitigkeit und sind von einander abhängig. Diese Abhängigkeit in Zeit auszudrücken ist nicht möglich, da es von sehr vielen unterschiedlichen und nicht faßbaren Faktoren abhängt.

    Es müssen Personen vorhanden sein die eine islamische Ordnung haben wollen und daraufhin arbeiten. Wenn sie den Islam leben, dann können sie auch einen islamischen Einfluß auf die Gesellschaft ausüben wovon der Staat auch betroffen sein wird.

    Ich möchte meine Arbeit mit einer gewagten These abschließen:

    "Ein Staat kann keine Religion haben! Es sind die Menschen die den Staat ausmachen. Wenn die Menschen nach dem Islam leben, dann wird die Ordnung von selbst islamisch, denn die Gesetze werden von Menschen gemacht die eine bestimmte Wertvorstellung haben. Wenn diese Wertvorstellung auf dem Islam basieren, so werden die Gesetze auch nach islamischen Werten gemacht."


    LITERATURVERZEICHNIS

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    DEMIRCAN, Ali Riza: Islam Nizami, Istanbul, 1984.

    EL-MEVDUDI: Seyyid Ebul A´la: Towards Understanding Islam, Lahor, 1966, übersetzt in das türkische 1986 (Istanbul).

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    HAMDILLAH, Muhammed: Der Islam, Geschichte, Religion, Kultur, Köln, 1973.

    KURAN

    SIRMA, Ihsan Süreyya: Islâmî tebligin Medine dönemi ve Cihad, Istanbul, 1986.