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Versuch einer Definition der interkulturellen Korandidaktik

für den deutschen Sprachraum

Dr. phil. Milena Azize Rampoldi

 

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Zur Definition der interkulturellen Korandidaktik im deutschen Sprachraum sind meiner Ansicht nach zwei Begriffe zu bestimmen: einerseits der Stellenwert von Bildung und Erziehung in Koran und Sunna und andererseits der interkulturelle und interreligiöse Dialog in der islamischen Gemeinschaft innerhalb der multikulturellen und globalisierten Gesellschaft im Westen.

Die koranische Offenbarung und die Überlieferungen des Propheten (sas) sind durchdrungen von der Zentralität der Vernunft des Menschen und von seiner Pflicht und Verantwortung vor Allah (swt), sich Wissen und Bildung anzueignen, da Allah (swt) als Erster den Menschen lehrte und somit Allahs Pädagogik und demzufolge auch Seine imperative Didaktik die menschliche begründet.

Bildung ist aber nicht nur eine Pflicht, sondern auch ein Recht aller Musliminnen und Muslime. Wie der Mensch als Individuum dazu verpflichtet und auch dazu berechtigt ist, sich Wissen anzueignen, so ist die Ummah ihrerseits damit beauftragt, Mittel und Möglichkeiten zu schaffen und bereitzustellen, damit dies gerecht und auf der Grundlage der Chancengleichheit erfolgen kann. Denn der Mensch trägt als das auserwählte Geschöpf Allahs (swt) Verantwortung für die kulturelle und religiöse Entwicklung der Welt.

 

In Koran 35:28 heißt es: „Allein die Wissenden von Seinen Dienern fürchten Allah“.

 

Die Würde des Menschen als Statthalter Allahs (swt) auf Erden beruht auf Vernunft und Wissen. Iman und ‘aql hängen im Islam sehr eng miteinander zusammen. Aus der Statthalterschaft des Menschen lässt sich nämlich seine pädagogische Aufgabe als Einzelner und als Ummah ableiten.

Die Pflicht der Familie und der Gesellschaft, Bildung für die Muslime und vor allem für die Musliminnen zu gewährleisten, ist mit deren Verantwortung in der gesellschaftlichen Umsetzung der Gerechtigkeit zu sehen, wie nach Koran 4: 135.

 

Erziehung und Sprache sind in der Pädagogik Allahs (swt) eng miteinander verbunden. Allah (swt) lehrte die ersten Menschen die Begriffe bzw. Namen aller Dinge und ordnete sie in diesem Bereich den Engeln über.

 

In Koran 2:31 heißt es hierzu:

 

„Und Er lehrte Adam aller Dinge Namen; dann zeigte Er sie den Engeln und sprach: „Nennt mir die Namen dieser Dinge, wenn ihr wahrhaft seid.““

 

Somit lebt der Mensch in einer ihm von Allah (swt) dargebotenen bzw. untergeordneten Welt.

 

Zentral sind für mich in dieser Beziehung vor allem diese beiden Koranverse:

 

„O ihr Menschen! Wir erschufen euch aus einem Mann und einer Frau und machten euch zu Völkern und Stämmen, damit ihr einander kennenlernt. kennen lernt. Doch der vor Allah am meisten Geehrte von euch ist der Gottesfürchtigste unter euch. Allah ist fürwahr wissend, kundig“ (49:13)

 

„... Jedem von euch gaben Wir ein Gesetz und einen Weg. Wenn Allah gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinde gemacht...“  (5:48).

 

Diese beiden Koranverse fundieren den sprachlichen, religiösen und ethnischen Pluralismus der menschlichen Gesellschaft und die von Allah (swt) für den Menschen gewollte Freiheit, sich seine besondere kulturelle und ethnische Identität aufzubauen. Wie es in Koran 5:48 heißt, hätte Allah (swt) auch nur eine einzige monolithische Gemeinschaft schaffen können, d.h. eine einzige Kultur für die gesamte Menschheit, aber Er hat sich die multikulturelle Welt gewünscht, damit die Transkulturalität des Menschen und seine kulturelle Freiheit den Wettbewerb zwischen den Kulturen und das Voneinander-Lernen mit sich bringen.

 

Als Grundlage des Kennenlernens zwischen den Kulturen, um voneinander zu lernen und im Guten miteinander zu konkurrieren, gilt im Islam der Respekt vor dem Anderen, der wiederum auf Selbstrespekt und auf der eigenen Würde als Geschöpf Allahs (swt) aufbaut. Der erste Schritt hin zum Respekt der Anderen und ihrer Kultur ist die Erkenntnis, dass ihnen gegenüber Toleranz zu üben ist. Toleranz ist in diesem Zusammenhang für die Musliminnen und Muslime keine Option, sondern eine Pflicht. Die von Allah (swt) gewollte Einheit des Menschengeschlechts in seiner Vielseitigkeit erfordert Toleranz, Frieden, Dialog und Barmherzigkeit von Seiten aller Dialogpartner.

 

Der Begriff der Toleranz ist im Islam jedoch anders zu verstehen als in der westlichen, laizistischen Vorstellung. Toleranz bedeutet im Islam keinesfalls die gleichgültige und relativistische Tendenz, die von der Transzendenz der Wahrheit absieht und alles als gleich und demzufolge auch als gleichgültig ansieht und einer oberflächlichen Sichtweise verfällt.

 

Wenn nun der Begriff der Toleranz in die Transzendenz Allahs (swt) und in das Konzept der verantwortungsbewussten Freiheit des Muslims und der Muslimin eingebettet wird, so gilt das Recht auf eine relativistische und gottesvereinende Toleranz im Islam als eine Grenzüberschreitung und als Anmaßung und Verletzung des Rechtes des Schöpfers.

 

Mahmoud Zakzouk schreibt in Der Islam und die Fragen des Dialogs, S. 10, von der positiven Zielsetzung dieses barmherzigen und friedlichen Dialogs im Islam:

 

„Gerade das nähere Kennenlernen einer anderen Kultur kann uns auf die Wurzeln der eigenen Kultur aufmerksam machen und so zu einem besseren Selbstverständnis führen“.

 

Daraus folgt auf didaktischer Ebene, dass eine auf dem Koran basierte Pädagogik eine Hermeneutik des Korans erforderlich macht und geradezu voraussetzt. Denn der Dialog zwischen dem Islam und dem Westen ist im islamischen Kulturverständnis nicht nur ein Muss, sondern auch eine Chance, um ohne Vorurteile und starre ideologische Tendenzen aufeinander zuzugehen.

 

Ein wichtiger Grundsatz, der zu Beginn des interkulturellen Dialogs immer vor Augen gehalten werden sollte, ist die grundlegende Maxime des großen deutschen Theologen Hans Küng, der diesbezüglich in Christentum und Weltreligionen, S. 22, so treffend betont:

 

„Nichts Wertvolles soll in den anderen Religionen verneint, aber auch nichts Wertloses unkritisch akzeptiert werden“.

 

Wichtig für den Islam ist es jedoch auch, von der Gegenseite in seinem Wert und in seiner Würde anerkannt zu werden, ansonsten verliert der Dialog in der islamischen Weltanschauung jeglichen Sinn und Zweck. Was heutzutage des Öfteren geschieht und als Unwillen der MuslimInnen zum Dialog mit dem Westen interpretiert wird, entspricht gerade dem Gesetz von Allah (swt), Der die MuslimInnen dazu auffordert, nicht mit Menschen ins Gespräch zu treten, die den Islam verpönen, diskriminieren und dessen Gläubige ungerecht behandeln.

 

Jeglicher interkultureller und interreligiöser Dialog soll von Seiten der MuslimInnen weise und ruhig erfolgen, was aber nur möglich ist, wenn die Gegenseite auch dazu bereit ist, im Dialog die Gemeinsamkeiten zu betonen und zu Beginn die dogmatischen Verschiedenheiten auszuklammern (was aber nicht bedeutet, diese zu verdrängen), um zu einer friedlichen Übereinkunft zu gelangen.

 

Zu den Grenzen des interkulturellen Dialogs heißt es im Koran 29:46:

 

„Und streitet nicht mit dem Volk der Schrift, es sei denn auf beste Art und Weise, außer mit jenen von ihnen, die unrecht handeln. Und sprecht: „Wir glauben an das, was zu uns herabgesandt wurde und was zu euch herabgesandt wurde. Unser Gott und euer Gott ist ein und derselbe. Und ihm sind wir ergeben“.

 

Somit basiert der Dialog zwischen dem Islam und den anderen monotheistischen Religionen auf friedlicher Kommunikation, Gerechtigkeit in der Einschätzung und Würdigung des Anderen und Anerkennung und Glauben an denselben Gott. Thema einer verbalen Auseinandersetzung zwischen Muslimen, Juden und Christen darf sich gemäß Koran 3:66 auch nur auf die Inhalte der Offenbarung beziehen und nicht auf spekulative Themen, die nur Allah (swt) kennt:

 

„Streitet über das, worüber ihr Bescheid wisst! Weshalb streitet ihr über das, wovon ihr nichts wisst? Allah weiß, ihr aber wisst nicht“.

 

Wichtig sind in diesem Zusammenhang die Fragen, die sich Adel Theodor Khoury in Mit Muslimen in Frieden leben, Friedenspotentiale des Islam, S. 66, stellt:

 „Wie viel Verschiedenheit kann eine Gesellschaft vertragen und verkraften? Wie viel Gemeinsamkeit ist nötig, damit zuerst ein Nebeneinander unterschiedlicher Systeme, Traditionen und Mentalitäten möglich ist? Wie viel Gemeinsamkeit ist möglich und auch erreichbar, damit aus dem Nebeneinander ein Miteinander wird?“

 

Das meiner Meinung nach wichtigste Vorurteil der westlichen Gesellschaften gegenüber dem Islam ist die Assoziation oder gar die Gleichsetzung zwischen Gewalt und Islam, die teilweise auch auf den negativen Einfluss vieler Medien zurückzuführen sind. Dabei werden im Wesentlichen zwei Begriffe missverstanden:

 

a) die Grenzen, welche die islamische Gesetzgebung der Gewaltausübung setzt; vgl. Koran 8:61: „Und wenn sie sich dem Frieden zuneigen, dann neige (auch du) dich ihm zu (und lass vom Kampf ab)! Und vertrau auf Allah! Er ist der, der (alles) hört und weiß“. Koran 2:190: „Und kämpft um Allahs willen gegen diejenigen, die gegen euch kämpfen! Aber begeht keine Übertretung (indem ihr den Kampf auf unrechtmäßige Weise führt)! Allah liebt die nicht, die Übertretungen begehen“.

 

b) der inhaltliche Rahmen des gihad.

Beispielsweise heißt es in einer Überlieferung des Propheten (sas);

Ibn 'Abbas berichtete: Ein Mann kam zum Propheten und sagte: „Oh Prophet von Allah! Ich habe mich zum Kampf verpflichtet, und meine Frau tritt gerade ihre Pilgerfahrt an.“ Der Prophet von Allah antwortete ihm: „Geh zurück und mach die Pilgerfahrt mit deiner Frau.“

Gihad bezieht sich vordergründig auf den moralischen Kampf des Menschen gegen die Quellen des Bösen, d. h. auf sein konstantes Ringen auf individueller, gesellschaftlicher, wissenschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Ebene, um eine Veränderung hin zum Guten zu erzielen. Daher kann gihad auch nicht als „heiliger Krieg“ übersetzt werden, denn dies würde die weite Bedeutung des Begriffes völlig einengen und verfälschen.

 

Demzufolge betont der Koran die notwendige Einheit zwischen dem Frieden in seiner prozesshaften Dynamik und der Gerechtigkeit, welche einerseits als sadaqa gilt, komplementär dazu aber auch als Errungenschaft des Menschen durch den gihad seiner Seele, der den Frieden des Herzens gewährleisten kann, definiert werden kann. Diese innere Reform führt zu einer internationalen Dynamik in Richtung des Friedens im Sinne der Gerechtigkeit und der Wahrheit, was aber nicht bedeutet, dass der auch gewaltsame Widerstand gegen die Ausbeutung und Ungerechtigkeit im Islam keinen Stellenwert einnimmt.

 

@ Ekrem Yolcu



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