Vortrag des Weimar Instituts in Berliner Humboldt-Universität beleuchtet den
großen Muslim Andalusiens als Einheit
Über 100 Zuhörer besuchten die Veranstaltung des Weimar Institutes an der
Humboldt-Universität zum Thema Ibn Ruschd. Dr. Asadullah Yate stellte am Abend auch sein
Buch über Ibn Ruschd vor und führte in das Werk ein. Die Einführung über das berühmte
Werk des andalusischen Denkers und Juristen fand zahlreiche Muslime und Nichtmuslime als
interessierte Zuhörer. Das Werk Ibn Ruschds gehört bis heute zu den großen
intellektuellen Herausforderungen dieser Zeit. Insbesondere die zahlreichen Verknüpfungen
des Denkens Ibn Ruschds mit der heutigen Situation des Menschen ließ die Zuhörer an der
Faszination des großen Europäers teilnehmen. Vorallem die ökonomischen Aspekte der
Lehre vom islamischen Recht zeigten schnell die aktuellen Bezüge des Werkes dieses
zeitlosen Gelehrten auf. Schon bei den biographischen Anmerkungen von Dr Asadullah Yate
wies der Vortragende immer wieder auf die Aktualität dieses einmaligen Werkes hin.
Ibn Ruschd, geboren 520 n.H. in Cordoba, stammte aus einer einer bekannten, mächtigen
und reichen Familie Andalusiens.Schon der Großvater Ibn Ruschds, Ibn Ruschd al-Djadd,
galt als einer der größten Rechtsgelehrten der Murabitun in Andalusien. Der Jurist wuchs
auf in der Zeit des Khalifats von Abdalmumin.
Ibn Ruschd war schon früh der Leibarzt des Abu Jaqub Jusuf, Sohn des berühmten
Herschers, geworden und wurde später durch den Khalif mit der Führung bestimmter
Hochschulen betraut. Seine Freundschaft mit der Herrscherfamilie machte ihn schnell zum
zweitmächtigsten Mann Andalusiens. In der Folge wurde er Oberster Richter (Qadi al-Qudat)
und Hauptverantwortlicher des Reformprogrammes, das durch die Khalifen der Muwahidun ins
Leben gerufen wurde. Abu Jaqub Jusuf beauftragte ihn mit der Erstellung eines Kommentares
der Werke von Aristoteles und Platon. Berühmt wurde insbesondere der Kommentar über
Platons Republik. Ibn Ruschd geht hierbei auch Parallelen nach zwischen den Städten
Andalusiens und Griechenlands. Ibn Ruschd wurde durch diese und andere Arbeiten zu einem
der größten Universalgelehrten dieser Zeit und bestach durch seine Arbeiten, die von
naturwissenschaftlichen Themen bis Philosophie reichten.
Die Weite des Werkes und Denkens Ibn Ruschds, so Dr. Asadullah Yate, macht es schwierig
in die einheitliche Dimension dieses Mannes vorzudringen. Der moderne wissenschaftliche
Ansatz, die Teilaspekte gesondert zu untersuchen, ließen so oft die Ganzheitlichkeit des
Denkens dieses Mannes außer Betracht. Das alltägliche Leben von Ibn Ruschd kannte nicht
die Trennung von Theorie und Praxis und war immer auch verwurzelt mit "konkretem,
gottesfürchtigen Handeln". Vor allem der Richter kann für Ibn Ruschd daher nur in
diesem Amt bestehen, wenn er selbst von größter Aufrichtigkeit und Tugendhaftigfkeit
geprägt ist. Ibn Ruschd erfüllte während seines Lebens unter diesem hohen Anspruch
verschiedenste praktische Aufgaben als Arzt, Politiker, Richter und Prediger. Daher, so
Yate, " muß man den Umstand, daß Ibn Ruschd ein praktizierender Muslim war, als
Bindeglied und Schlüssel seines Lebens immer wieder hervorheben." Der Islam als
Lebenspraxis war für Ibn Ruschd nicht nur geistige Heimat und Inspirationsquelle, sondern
auch immer Aufforderung zur Tat. Eine passive Betrachtung der Lebensverhältnisse aus der
Distanz einer akademischen Wissenschaft heraus, war daher dem Menschen Ibn Ruschd dem
Grunde nach völlig fremd. Seine tiefe Gläubigkeit und seine profunden Kenntnisse des
Islam begleiteten Ibn Ruschd durch alle Tiefen und Höhen seines geistigen Lebens. Eines
seiner wichtigsten Werke, die Bidaya al-Mujtahid, ist ein Handbuch, um die wichtigsten
Grundlagen islamischen Rechts zu vermitteln.
Für Ibn Ruschd ist hierbei das islamische Recht zutiefst und untrennbar mit den
Wurzeln von Madinah verbunden. Das islamische Recht erschließt sich oft in seiner
Bedeutung erst aus der Betrachtung der konkreten Situation der Gemeinschaft von Madinah.
Insofern besteht für Ibn Ruschd eine Nähe zwischen der Shariat und dem griechischen
Nomos als eine je allumfassende Lebenswirklichkeit. "Natürlich hat dieses
Recht" so Dr. Yate " als die Umsetzung der natürlichen Lebenspraxis, wenig mit
der Vorstellung von persönlicher Schuld und psychologischer Drangsalierung zu tun."
Im Kern aber ist für ihn das islamische Recht der Ausdruck des göttlichen Prinzips der
Gerechtigkeit. Unterwerfung des Menschen unter die Gesetze des Qur´ans und die
Etablierung von Gerechtigkeit sind daher für Ibn Ruschd ein und derselbe Vorgang. Sein
Werk kann daher natürlich nicht aus dem Kontext des religiösen Verständnisses von Ibn
Ruschd gelöst werden. Hieraus ergibt sich auch, daß viele der verwendeten
terminologischen Begriffe nur aus einem islamischen Verständnis heraus richtig gedeutet
werden können. Hier ergeben sich gleiche Schwierigkeiten, wie wenn man Begriffe der
griechischen Klassik (bspw. die fragwürdige Übersetzung von "Nomoi" als
Gesetze) in den neueren Sprachen erklären will. Für alle islamischen Begriffe gilt
daher, daß eine Übersetzung der Fachbegriffe nur mit größter Vorsicht unternommen
werden darf. Gerade im Werk Ibn Ruschds besteht hier eine gewisse Problematik, da viele
Zusammenfassungen von Nicht-Muslimen verfasst wurden. Außerdem setzt eine gerechte
Bewertung der Lebensleistung des Juristen voraus, daß man auch die Epoche des Islam in
al-Andalus geschichtlich richtig und unvoreingenommen bewertet. Alle diese Besonderheiten
haben daher den Vortragenden bewogen, neben dem einführenden Vortrag auch sein Buch
"Ibn Ruschd: Mujtahid Europas" zu schreiben. Ibn Ruschd starb 595 in Marrakesh
und seine Beerdigung erlebte sein großer Schüler ibn-al Arabi mit. Dieser hatte als
13jähriger Ibn Ruschd getroffen und innerhalb kürzester Zeit große Teile des Werkes
seines Lehrers nachvollzogen. Dies geschah, so Dr. Yate abschließend, in Übereinstimmung
mit der islamischen Überzeugung, daß authentische Wissensvermittlung nur im
persönlichen Umgang von Lehrer und Schüler erfolgen kann. Die große Begegnung von Ibn
al-Arabi und Ibn Ruschd ist natürlich wiederum nicht von dem Umstand zu trennen, daß
beide praktizierende Muslime waren. Der Versuch der europäischen Wissenschaften, das Werk
Ibn Ruschds in seiner Totalität zu erfassen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Vielleicht gerade deswegen geht von seinem Leben bis heute eine ungebrochene
Anziehungskraft aus. Der Vortragsabend schloß mit verschiedensten Fragen an den Dr. Yate
und wird demnächst in Berlin weitergeführt.
Quelle: islamische Zeitung , 38. Ausgabe