Auch ein kluger Papst kann falsch liegen

Äußerungen von Benedikt XVI. in Regensburg zum Islam teilweise sachlich falsch


Papst Benedikt XVI.



Von JUAN COLE*

Regensburg/Rom. Die Rede Papst Benedikts in der Universität Regensburg, in der er von Islam und Djihad spricht, hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Die Ansprache ist komplexer und feinsinniger, als in der Presse dargestellt. Aber am meisten irritiert, dass der Papst einiges am Islam sachlich falsch auffasst. Er stellt fest, dass in dem von ihm angeführten Text, der Polemik eines byzantinischen Kaisers gegen den Islam, der Koran (2:256) mit der Aussage zitiert wird: ”Es gibt keinen Zwang in Glaubenssachen”. Benedikt behauptet, dass dies ein früher Vers aus der Zeit sei, als Mohammed noch machtlos war.

Seine Behauptung ist nicht korrekt. Die Zweite Sure ist eine Medina-Sure aus der Zeit, als Mohammed bereits als Führer der Stadt Yathrib (später als Mekka oder ”die Stadt” des Propheten bekannt) fest etabliert war. Der Papst meint, dass ein junger Mohammed in Mekka vor dem Jahr 622 (ohne Macht) Gewissensfreiheit zuließ aber später im Leben befahl, dass seine Religion mit dem Schwert ausgebreitet würde. Aber da die Zweite Sure tatsächlich aus der Medina-Periode stammt, als Mohammed bereits an der Macht war, ist diese Theorie nicht haltbar.

Tatsächlich drängt der Koran an keiner Stelle darauf, dass der religiöse Glaube irgend jemandem mit Gewalt aufgezwungen wird. Was er über die Religion sagt, ist folgendes:

”(2:62) All denen - seien es Gläubige, Juden, Christen oder Sabäer (Mohammed hält sie für die Johanneschristen / Anm. in ”Der Koran - Das heilige Buch des Islam”, München 1959) - , wenn sie nur an Gott glauben, an den Jüngsten Tag und das Rechte tun, wird einst Lohn von ihrem Herrn, und weder Furcht noch Traurigkeit wird über sie kommen.”

Die Idee des heiligen Krieges oder Djihad (bei der es um die Verteidigung der Gemeinschaft oder um die Errichtung der Herrschaft der Muslime geht, aber nicht um das zwangsweise Bekehren einzelner zum Glauben oder die Verbreitung des Glaubens durch Gewalt) ist also keine koranische Lehre. Die Doktrin wurde viel später ausgearbeitet, und zwar an der Front zwischen der Umayyaden-Dynastie und dem Kaiserreich von Byzanz, lange nach dem Tode des Propheten. Tatsächlich war es im Anfang schwer, sich dem Islam anzuschließen, und Christen, die Muslime werden wollten, wurden routinemäßig abgewiesen. Der tyrannische Gouverneur des Irak, al-Hajjaj, war berüchtigt für seine Zurückweisung von Antragstellern, weil er Nicht-Muslime höher besteuern konnte. Arabische Muslime hatten den Irak erobert, der damals weitgehend heidnisch, zoroastrisch, christlich oder jüdisch war. Aber man warb nicht um Konvertiten und mit Sicherheit setzte man nicht die eigene Religion zwangsweise durch.

Der Papst versucht zu argumentieren, dass Gewissenszwang mit echtem, vernunftbegründetem Glauben unvereinbar ist. Er nimmt den Islam als Beispiel für das Erzwingen eines vernunftlosen Glaubens. Aber durch die mittelalterliche Polemik, auf die er sich verließ, wurde er irregeleitet.

Tatsächlich vertritt auch der Koran einen vernunftbegründeten Glauben, sowie er auch Zwang in der Religion verbietet. Gewalt wird im Koran nur befürwortet, wo es um die Selbstverteidigung gegen die Versuche der Heiden von Mekka geht, die muslimische Gemeinschaft zu beseitigen.

Der Papst sagt, dass Gott im Islam transzendent und jenseits der Vernunft ist, und von ihm nicht erwartet werden kann, dass er vernünftig handelt. Er stellt dieser Konzeption von Gott die des Johannesevangeliums gegenüber, wo Gott der Logos, die dem Universum innewohnende Vernunft ist.

Doch in der muslimischen Theologie und Philosophie gab es viele Schulen. Die Mu`tazilitische Schule behauptete genau das, was der Papst sagt, nämlich dass Gott handeln muss, so wie es der Vernunft und dem Guten des Menschen entspricht. Die Herangehensweise der Mu`tazlitischen Schule ist im Zaidismus und in der Zwölferschia irakischer und iranischer Art noch lebendig. Dagegen besteht die Aschari-Schule darauf, dass Gott jenseits der menschlichen Vernunft ist und daher nicht rational erfasst werden kann. (Ich denke, dass der Papst finden dürfte, dass Tertullian und vielleicht auch Johannes Calvin mehr mit dieser Ansicht sympathisieren als er selbst.)

Was den Koran betrifft, so appelliert dieser ständig an die Vernunft beim Erkennen Gottes, lehnt Götzendienst und Heidentum ab und fragt: ”Urteilt Ihr nicht vernünftig?”, ”Versteht Ihr nicht?” (a fala ta`qilun?)

Allerdings gibt es im Christentum eine lange Geschichte des den Menschen mit Zwang auferlegten Glaubens, darunter auch den Heiden im spätrömischen Reich, die zwangsweise bekehrt wurden. Und es gab die Episode der Kreuzzüge.

Eine weitere Ironie besteht darin, dass das mit Vernunft argumentierende scholastische Christentum ein wichtiges Erbe aus dem Islam bezog. Im 10. Jahrhundert gab es sehr wenig Scholastik in der christlichen Theologie. Der Einfluss muslimischer Denker wie Averroes (Ibn Rushd) and Avicenna (Ibn Sina) bewirkte, dass Aristoteles und Plato in die christliche Theologie eingeführt wurden. An einem bestimmten Punkt hatten sich christliche Theologen in Paris sogar gespalten in Anhänger des Averroes und solche des Avicenna, und sie lieferten sich gegenseitig heftige Polemiken.

Und zum Schluss: Dieser byzantinische Kaiser Manuel II.? Die Byzantiner waren durch lateinische Raubzüge während des vierten Kreuzzuges geschwächt worden, wodurch es gewissermaßen Rom war, das zuerst Gewalt übte. Und er beendete seine Tage als Vasall des Ottomanischen Reiches.

Der Papst war sachlich im Irrtum. Er sollte sich bei den Muslimen entschuldigen und sich bessere Berater für christlich-muslimische Beziehungen suchen.

Übersetzung: Klaus von Raussendorff

* Juan Cole ist Professor für moderne Geschichte des Mittleren Ostens und Südostasiens an der Historischen Abteilung der Universität von Michigan/USA. Er redigiert die ständig aktualisierte Webseite ”Informed Comment” http://www.juancole.com/



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