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Frauen, Jugendliche, Muslime - Aspekte einer Gewaltdebatte

 (iz)Montag ist „Spiegel“-Tag. Das Thema wird lautstark angekündigt. Es geht um die „stille Islamisierung Deutschlands“. Auf den entsprechenden Seiten haben eine Handvoll „Spiegel“-Redakteure eher alte und lang bekannte „Sensationen“ aneinandergereiht; teilweise ist das Verfallsdatum, wie beispielsweise bei der staubigen Anekdote der „Kamelfatwa“, sogar hart an der Grenze des Zumutbaren angesiedelt. Schon 1997 stand im „Spiegel“: „Immer mehr Bürger fühlen sich im eigenen Land bedroht, mißbraucht und in die Defensive gedrängt.“ 2007 werden solche Fakten, die damals noch ohne Religionsbezug wahr waren, gerne mit Bezug auf die Muslime aufbereitet und damit die alte Ausländerfeindlichkeit nicht nur als Islamkritik ideologisch bekömmlicher, sondern als Titelstory mit Mondsichel über dem Brandenburger Tor auch als Verkaufsschlager aufbereitet. Die Gesetze der Mobilmachung sind intellektuell leicht zu durchschauen: Wenig mit den Betroffenen reden, Extreme präsentieren, den Konsens der Muslime unterschlagen und auf der Stimmungswelle der Mehrheitsgesellschaft reiten. Würde der einschlägige Boulevard des Iran mit der gleichen Technik über Deutschland berichten, würde auch die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft, voller Gewalttäter, Hooligans und schießwütiger Autofahrer, in der auch ab und zu (natürlich atypisch) ein Kind aus dem Fenster geworfen wird oder ein Kanibale und seine Internetcommunity sein Unwesen treibt, global Angst und Schrecken verbreiten.

Natürlich gibt es ein Gewaltproblem in Deutschland. Muslime sind dabei, wie jede andere Bevölkerungsgruppe, die in Deutschland lebt, Opfer und Täter zugleich. Die Staatsministerin für Integration, Maria Böhmer, sagte bei der Vorstellung einer neuen Kampagne gegen häusliche Gewalt in Migrantenfamilien, dass von Gewalt „besonders häufig Frauen ausländischer Herkunft“ betroffen seien. „Aus Studien wissen wir, dass jede dritte türkischstämmige Frau in ihrer aktuellen Beziehung Gewalt erleidet, bei den Deutschen ist es jede siebte“, sagte die Ministerin.

Warum jede siebte deutsche Frau Opfer von Gewalt wird (wegen dem Kapitalismus, dem Christentum, dem Säkularismus?), bleibt in dem Papier offen. Frauen sollen jedenfalls ganz allgemein mit einem Faltblatt über ihre Rechte und Hilfsangebote, wie zum Beispiel Frauenhäuser, informiert werden. Weil die meisten der Betroffenen nicht über genügend Deutschkenntnisse verfügten, soll das Faltblatt mit dem ungemütlichen Titel „Tatort Familie. Wege aus der Gewalt“ unter anderem in Türkisch und Arabisch herausgegeben werden. Darin soll erklärt werden, dass Frauen keine Angst haben sollen, wenn sie sich von ihrem Mann trennen wollen. Bliebe also nur offen zu fragen, ob „unter anderem“ auch ein Papier, angesichts der trostlosen deutschen Ghettos in München oder Leipzig, in Bayrisch oder Sächsisch verfasst werden wird.


Was lernen wir daraus? Gewalt betrifft heute muslimische Frauen, säkulare Frauen, ausländische Frauen und deutsche Frauen gleichermaßen. Jeder Fall ist dabei einer zu viel. Zu diskutieren wäre, worin die Hauptursachen für männliche Frustration und Gewalt liegen. Liegt es an den Rudimenten alter patriarchalischer Gewohnheiten, an der religiösen Provenienz oder einfach am Frust, der ohne Geld und in einer Kleinwohnung ganz naturgemäß entsteht? Fakt ist auch, dass viele Muslime heute weniger nach Qur’an und Sunna, sondern vielmehr nach den Vorgaben der modernen ökonomischen Realitäten leben. Dies schließt nicht aus, dass auch einigen muslimischen Frauen das Los zufällt, von einem puritanischen „Kalifen in 3-Zimmer-Wohnung“ drangsaliert zu werden. Es wäre muslimischen Frauen zu empfehlen, die Rechtgläubigkeit ihres Mannes auch an die Beobachtung zu koppeln, ob er Zakat bezahlt, dem Beispiel des Propheten folgt, wirklich in Gemeinschaft lebt und soziale Gewohnheiten hat. Ein schlagender Ehemann ist jedenfalls in jeder aktiv praktizierenden, authentischen Gemeinschaft unter muslimischen Männern und Frauen nicht nur nicht akzeptabel, sondern gewiss auch ein sozialer Außenseiter. Gewalt, soweit dürften sich Vernünftige einig sein, ist weiß Gott kein exklusives Problem der Muslime im Land.

Neben der stillen „Islamisierung“ , macht heute - was Ausmaß und gesellschaftliche Relevanz angeht - eher die stille „Alkoholisierung“ im Lande Sorgen. Nach der Logik des „Spiegel“ könnte man auch dies insoweit als ein Problem des Islam deuten, als doch - leider - auch viele Muslime, die das Alkoholverbot nicht achten, betroffen sind. So wenig es einen „islamischen“ Terrorismus gibt, so wenig gibt es aber einen „islamischen“ Alkoholismus. Die Fakten kommen jedenfalls nüchterner daher: „Der Trend zur Gewalt ist ungebrochen. Besonders die Zahl gefährlicher und schwerer Körperverletzungen ist deutlich gestiegen“, sagte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, beispielsweise der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Der alarmierende Befund: „Alkohol spielt gerade bei Gewaltdelikten eine zentrale Rolle“, sagte Freiberg. Für Straftaten Jugendlicher gelte das verstärkt, weil sie unerfahren im Umgang mit Alkohol seien und ihre Grenzen im Rausch oft verkennen würden. Auch Polizisten gerieten immer öfter ins Visier: „Die Fälle von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nehmen drastisch zu.“ Der GdP-Vorsitzende sieht in der wachsenden Gewaltbereitschaft und dem alltäglichen Terror auf der Straße „den Ausdruck eines erschreckenden Verfalls von Werten in einer Gesellschaft, in der oben und unten immer weiter auseinanderdriften“.

Die Forderung von Politikern wie Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) nach einer konsequenteren Strafverfolgung hält Freiberg als Reaktion zwar für richtig, „gleichzeitig müssen aber die Ursachen der Gewalt beseitigt werden, an erster Stelle die Defizite in der Erziehung und an den Schulen“. Vielleicht müsste man hier allerdings hinzufügen, dass der Verfall der Werte, der oft besungen wird, sich natürlich auch in einer Gesellschaft, die nach außen wie innen eine aggressive Verwertungsmentalität vorlebt, zeigt, die - wie Jugendliche durchaus beobachten - den materiellen Wertgewinn immer häufiger an erste Stelle stellt. Die Entwertung von Sinn und Bedeutung des Daseins scheint der Verwertungslogik des Kapitalismus selbst irgendwie inne zu wohnen.

Muslime leben nicht auf einer Insel. Vor allem die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen sorgt muslimische und nichtmuslimische Eltern heute gleichermaßen. Meldungen aus dem Lokalteil unserer Zeitungen wie diese sind heute Alltag: „Den zwölf Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren muss anscheinend langweilig gewesen sein. Anfang des Jahres hatten sie angefangen, sich über Handy in der Innenstadt zu verabreden, um gemeinsam ‘Mist zu bauen’. Zum Teil filmten sie ihre Taten - letztendlich wurde ihnen dies wahrscheinlich zum Verhängnis: Die Polizei wertete zahlreiche sichergestellte Handys, DVDs, CDs und USB-Sticks aus, die die Taten zeigten. Bei einem der Täter fanden die Beamten insgesamt 47 Video-Clips der Zerstörungszüge.“ Natürlich kann auch ein Täter Ali oder Muhammad heißen.

Besonders das Verhalten vieler Eltern besorgt die Polizei in solchen Fällen. Beamte, die Gewaltserien zusammen mit Schulen, Jugendämtern und Justiz aufarbeiten, beklagen sich immer lautstärker. Häufig müssen zwar Eltern ihre Kinder von der Wache abholen oder zur Vernehmung begleiten, bei denen die Polizei die Taten und deren Folgen ausführlich schildert, doch trotzdem gelingt es vielen Eltern nicht mehr, ihre Kinder von weiteren Taten abzuhalten. „Neben dem Umstand, dass bei den Eltern eine gewisse Hilflosigkeit, aber auch Gleichgültigkeit vorhanden zu sein scheint“, so ein frustrierter Ermittler, „machen sich weder Jugendliche noch Eltern Gedanken über die Folgen der Taten bei den Opfern“ - oder gar über eine Wiedergutmachung der Schäden. Da sehe er „nicht selten Achselzucken“. Anders sei es freilich, wenn es darum gehe, die sichergestellten Handys oder Compter zurückzubekommen: Da „wird man insgesamt reger“, stellen viele Beamte fest.


Es gibt viele Beispiele einer neuen Jugendgewalt, die dem nihilistischen Grundphänomen der Langeweile geschuldet ist. Was aber bedeuten sie im Zusammenhang mit der Religionsausübung? Es wird einleuchten, dass Jugendliche, die einen Bibelkreis besuchen, am Sonntagsgottesdienst teilnehmen, Qur’an oder Thora lesen, zum Freitagsgebet erscheinen, nicht unbedingt die Kerngruppe randalierender Jugendlicher darstellen. Im Islam ist die Erkenntnis, dass man von seinem Schöpfer beobachtet wird und sinnlose Gewalt unmittelbar ins Verderben führt, fundamental. „Die Strafe ist in der Handlung selbst bereits verborgen“, ist ein sokratischer Grundsatz, der auch im Islam gelehrt wird.


Auf der anderen Seite wächst die Sorge, dass sich entwurzelte oder eben gelangweilte Jugendliche „radikalisieren“, sich in den Traumwelten des Internets oder in Hinterstuben als „Islamisten“ zusammenrotten könnten. Die Selbstmordrate bei Jugendlichen steigt unter verschiedenen Vorzeichen seit Jahren. Diese Gefahren gibt es bei Muslimen - so wie sich Pervertierungen bei Fußballfans, die zu Hooligans mutieren, oder Kulturliebhabern, die sich zu Nazis wandeln, beobachten lassen. Die Lösung wird weniger in rituellen Distanzierungsfloskeln liegen, sondern, gerade auch bei muslimischen Jugendlichen, wie überhaupt bei allen Jugendlichen, nur ein sinnvolles, sozial verantwortliches, tätiges Leben sein. Das muslimische Gemeinschaftsleben hat sich heute nicht nur in Vereinen modernisiert, es ist auch in einer Krise. Eine Tischtennisplatte im Keller ist noch kein Jugendprogramm. Ohne eine authentische Zakaterhebung, ohne Stiftungen, ohne Märkte erkaltet das Zusammenleben der Gemeinschaften und es entfällt ohne die Einheit von „Existenz und Handlung“ die spirituelle und soziale Attraktivität der Gemeinden. Aber kommen wir zurück zum Ausgangspunkt. Jeder, der auf Drei zählen kann und ein politisches oder soziales Leben führen will, braucht keine Gegenspielerin zum Agressionsabbau, keine Depression in der Familie, sondern einen starken Partner. Die Maxime ist simpel: Hinter jedem starken Muslim, steht in Wirklichkeit eine starke Frau. Starke Frauen prägen und prägten das muslimische Leben. Gesellschaften, die nicht den ehrenvollen und korrekten Umgang mit Frauen lehren, oder glauben, die sozialen Beziehungen auf Straßen und Marktplätzen ließen sich durch Mauern oder Gewalt regeln, sind zum Scheitern verurteilt. Darüber hinaus gibt es im Islam auch die Erfahrung lebendiger Traditionen. Ein Europäer, der die bürgerliche Ehe sehr kritisch gesehen hat, hat einmal folgendes erzählt: Er habe seinen beinahe hundert Jahre alten Schaikh in Marrokko gefragt, wie man denn in einer muslimischen Ehe glücklich bleibe. Der alte Weise habe ihn verdutzt angesehen und nur gesagt: „Gäste natürlich! Viele Gäste!“


Quelle: Islamische Zeitung

 

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