Die Wiederbelebung der Östlichen Orthodoxie durch Sultan Mehmet II.
Ein weitgehend
unbekannter Aspekt türkisch-griechischer Beziehungen im 15. Jahrhundert
Hiermit erkläre ich mich und zeichne meinen Erlass für meine Anhänger auf. Meine Worte betreffen die Christen, bekannt oder unbekannt in Ost und West, Nah und Fern. Diejenigen, die meinem Erlass nicht Folge leisten, seien sie Sultane oder gewöhnliche Muslime, widersetzen sich auch dem Willen Gottes und seien verflucht. Ob Priester oder Mönche an einem Berg Unterschlupf finden, oder ob sie in der offenen Wüste, in einer Stadt, einem Dorf der in einer Kirche wohnen - ich persönlich verbürge mich mit meinen Armeen und Gefolgsleuten für sie und verteidige sie gegen ihre Feinde. Jene Priester gehören zu meinem Volk (meiner tabaa). Ich nehme Abstand davon, Ihnen irgendeinen Schaden zuzufügen. Es ist verboten, einen Bischof von seinen Pflichten abzuhalten, einen Priester von seiner Kirche fern zu halten und einen Eremiten von seiner Unterkunft. Ein Muslim darf eine Christin, die er geheiratet hat, nicht daran hindern, in ihrer Kirche Gott zu verehren und den Schriften ihrer Religion Genüge zu tun. Wer sich gegen diese Anordnungen stellt, soll als Feind Allahs und seines Gesandten betrachtet werden. Muslime sind verpflichtet, sich bis ans Ende der Welt an diese Anordnungen zu halten.
Sultan Mehmet II
Sultan Mehmet II(1) belebte, nachdem er Istanbul
(damals bekannt als Konstantinopel) erobert hatte, die Griechische Orthodoxie neu. Obwohl
er sie auch hätte verkümmern lassen oder unterdrücken können, unterstützte er sie und
ernannte Georgios Skelarios, einen Kleriker zum Patriarch mit dem Titel
Gennadios.
Als der Stern der Türken in Anatolien gerade aufging, befand sich die Byzantinische
Kirche bereits im Niedergang. Die Führer auf dem Balkan brachen ihre Beziehungen zu den
Orthodoxen in Folge des Einflusses der Römisch-Katholischen Kirche ab. Die
Griechisch-Orthodoxe Kirche brach zusammen, die osmanische Regierung rettete sie jedoch
vor dem endgültigen Verfall.
Die griechische Minderheit in Istanbul
Nach der Eroberung Istanbuls sprach Sultan Mehmet Khan die folgenden Worte zu einer
Menschenmenge, die sich vor der Moschee Hagia Sophia(2) versammelt hatte:
Ich verspreche euch, als meine Untertanen braucht ihr weder um euer Leben noch um
eure Freiheit zu fürchten. Ihr seid vor meinem Zorn sicher. Der Sultan erklärte
dann weiter, dass die Menschen, die die Stadt aus Furcht verlassen hatten, nach Hause
zurückkehren könnten und ihr Leben auch in Zukunft in Übereinstimmung mit ihren
Traditionen und Bräuchen unter den Türken führen könnten. Außerdem siedelte er einige
Gefangene in Häuser nahe Halic (dem Goldenen Horn) um.(3) Um zur
Normalität zurückzukehren, reparierte der osmanische Staat beschädigte Häuser und
sorgte für öffentliche Sicherheit, indem er neue Gerichtshöfe etablierte. Um der Stadt
neues Leben einzuhauchen, wurden viele Griechen aus dem Osten und dem Westen des Landes
herzitiert. Griechische Neubürger der Stadt wurden von diversen Steuern befreit. Ihnen
wurden Häuser oder Land geschenkt, wenn sie selber keines besaßen. Landbesitzer
erhielten Tiere, damit sie ihre Ländereien bestellen konnten. Die Griechen, die von Epin
nach Galata emigrierten, brachten viele Talente mit und wurden ermutigt, diese auch zu
nutzen. Viele Emigranten entschieden sich dafür, sich in Küstennähe oder in den Zentren
der prosperierenden Stadt niederzulassen. Die Griechen, die in den folgenden Jahrhunderten
nach Istanbul kamen siedelten sich in den alten Gebieten der Griechen an, oft in nächster
Nähe zu bestehenden Kirchen.
Sultan Mehmet II. belebte die Östliche Orthodoxie neu
Als sich Mehmet II. sicher war, dass er den neuen Patriarchen in der Position des
Gennadios einsetzen würde, lud ihn der Sultan zu einem Bankett ein. Um der Zermonie und
der Position des Patriarchen Respekt zu zollen, empfing Sultan Mehmet II. ihn persönlich
mit dem ganzen Gefolge seiner Wezire.(4) Der Sultan, der sich so oft mit
Pomp und Etikette umgab, hieß den Patriarchen willkommen, schüttelte ihm die Hand und
bot ihm an, neben ihm Platz zu nehmen. Sultan Mehmet II, der den Patriarchen zum
Oberhaupt der Griechischen Nation machte, überreichte ihm ein weißes Pferd
und den Mosesstab, so wie es die byzantinischen Herrscher über Jahrhunderte
hinweg getan hatten. Da der Sultan fünf Sprachen beherrschte, zu denen auch Griechisch
gehörte, bestätigte er den Patriarchen in seiner Position, indem er ihm auf Griechisch
sagte: In Sicherheit und Wohlergehen und als ein Mitglied der Regierung - heute und
in Zukunft - wisse, dass du und das Amt des Patriarchen meine volle Unterstützung
genießen.
Der Islam und die nicht-muslimische Minderheit
Die Toleranz und Milde, die Sultan Mehmet II. allen nicht-muslimischen Minderheiten
gegenüber bekundete, war eine Manifestation seiner inneren islamischen
Glaubensprinzipien, die der Prophet Muhammad begründet hatte. Einem starken Hadith
zufolge verbot der Prophet jeden noch so unbedeutenden Aufruhr, jedes Verbrechen oder
Unrecht gegen Nicht-Muslime. Wer einen Juden oder Christen peinigt, den werde ich am
Jüngsten Tage anklagen. In einem anderen Hadith heißt es: Wenn jemand die
nicht-muslimischen Bürger ungerechtfertigt peinigt und beleidigt, bin ich dessen
Widersacher und werde am Jüngsten Tage sein Feind sein.
Eroberung Durch Güte, Nicht Durch Das Schwert
Die Armeen des Islam haben die Herzen von vielen Nicht-Muslimen erobert, indem sie - ohne
sich vor unerwünschten Begleiterscheinungen dieser Maßnahme zu fürchten - ihnen
erlaubten, ihre eigenen Religionen zu praktizieren. Dadurch, dass er Nachsicht und
Toleranz gegenüber den Christen walten ließ, befand sich Sultan Mehmet II. ganz in der
Tradition vieler seiner muslimi-schen Vorgänger. Der erste Kalif Hazrat(5)
Abu Bakr (der erste islamische spirituelle Führer nach dem Dahinscheiden des Propheten
Muhammad) befahl den militärischen und zivilen Führern, die Folterung von Mitgliedern
des Klerus und die Zerstörung von Kirchen und Klostern zu unterlassen, da diese Gott
dienten. ´Umar tat es ihm nach. Er hätte auf Grund seiner Stellung Nicht-Muslime
drangsalieren können, aber er verzich-tete darauf. Als der Klerus der eroberten Länder
ihm die Städte freiwillig überließ, lud der Pat-riarch ´Umar ein, seine Gebete (salah,
pl. salahat) in der wichtigsten Kirche Jerusalems zu verrichteten. ´Umar jedoch schlug
die Einladung aus und sagte: Die Kirche, in der ich meine Gebete verrichte, wird zu
einer Moschee für Muslime. Ich möchte den Christen nicht ihre Kirche wegnehmen, indem
ich in ihr bete.
Sultan Mehmet II. befolgte also, wie schon andere islamische Herrscher vor ihm, die
Grund-sätze des Islam. In konsequenter Manier be-schützte er diejenigen, die ihn als
Feind betrach-teten. In einer Zeit, in der die Unterdrückung Überhand zu nehmen drohte,
bewies der Sultan, dass Eroberertum und Erhaltung von Würde und Respekt gemeinsam
existieren konnten.
Fußnoten
1- Besser bekannt unter dem Namen Fatih Sultan Mehmet. Fatih bedeutet wörtlich soviel wie
der Öffnende, wird aber gewöhnlich mit
Eroberer übersetzt. Dieser Name wurde ihm auf Grund seiner Eroberung
Konstantinopels, der Hauptstadt des Reiches Byzanz, verliehen.
2- Hagia Sophia: Ort des Gebets, der von einer Kirche in eine Moschee umgewandelt wurde.
Heute beherbergt er ein Museum.
3- Das Goldene Horn: Dieser Wasserweg war für die Byzantiner von größter strategischer
Wichtigkeit.
4- Wezir: Berater des Sultans.
5- Hazrat: Ein Mensch mit hoher spiritueller Gesinnung.
S. Dede / H. Yilmaz
Quelle: Die Fontäne, Nr: 12