Der Gebetsbegriff im ISLAM


Der Gebetsbegriff im Islam wird von vielen Menschen einschließlich manchen Muslimen mißverstanden. Unter Gebet wird gewöhnlich das Verrichten von rituellen Handlungen, wie Salah (Gebet), Zakah (Pflichtanteil, der u.a. den Armen vom Besitz der Wohlhabenden zusteht), Siyam (Fasten während des Monats Ramazan tagsüber) usw. verstanden. Diese begrenzte Vorstellung vom Gottesdienst umfaßt nur einen Teil seiner Bedeutung im Islam, während seine überlieferte Definition umfassend ist. Sie umschließt geradezu alle Handlungen eines Muslims. Die Definition lautet manchmal wie folgt: " Gebet ist ein Begriff, der alles umfaßt, was Allah an Aussagen und Handlungen einer Person liebt". Mit anderen Worten: Gebet ist alles, was man sagt oder tut nach Allahs Belieben. Dies umfaßt natürlich sowohl Rituale als auch Glauben, soziale Handlungen und persönliche Beiträge zum Wohl de Mitmenschen.

Der Islam betrachtet den Menschen als Ganzes. Er befiehlt dem Einzelnen, sich Allah vollkommen zu unterwerfen, wie Allah im Qur'an den Propheten Muhammad (a.s.m.) anweist:

Sprich (o Muhammad): Mein Gebet und mein Opfer und mein Leben und mein Tod gehören Allah, dem Herrn der Welten. Er hat niemanden neben Sich. Also ist mir geboten, und ich bin der erste der Gottergebenen. (6:162-163)

Das natürliche Ergebnis dieser Unterwerfung ist, daß alle Handlungen eines Menschen mit den Anweisungen von demjenigen, dem der Mensch unterworfen ist, übereinstimmen. Da der Islam eine Lebensweise ist, verlangt er von seinen Anhängern, daß sie ihr Leben in jeder Hinsicht, sei es in religiöser oder irgendeiner anderen Hinsicht, gemäß seinen Lehren gestalten. Dies mag für manche Leute fremd klingen, die denken, daß Religion, als eine persönliche Beziehung zwischen Gott und dem Menschen, keinen Einfluß auf die Handlungen des Individuums außerhalb der Rituale habe.

Tatsache ist, daß der Islam nicht viel von bloßen Ritualen hält, wenn sie mechanisch verrichtet werden und keinen Einfluß auf das innere Leben des Menschen haben. Allah spricht die Gläubigen und ihre Nachbarn von den Leuten des Buches (Juden und Christen), die sich mit ihnen über die Änderung der Qiblah (der Gebtsrichtung) auseinandergesetzt haben, in der folgenden Ayah an:

Nicht darin besteht Tugend, daß ihr euer Antlitz nach Osten oder nach Westen kehrt, sondern wahrhaft gerecht ist der, welcher an Allah glaubt und an den Jüngsten Tag und an die Engel und das Buch und die Propheten und aus Liebe zu Ihm Geld ausgibt für die Angehörigen und für die Waisen und Bedürftigen und für den Wanderer und die, die um eine milde Gabe bitten, und für (Loskauf der) Gefangenen, und der das Gebet verrichtet und die Zakat zahlt; sowie jene, die ihr Versprechen halten, wenn sie eins gegeben haben, und die in Armut und Krankheit und in Kriegszeit Standhaften; sie sind es, die sich als redlich bewährt haben, und sie sind die Gottesfürchtigen. (2:177)

Die Handlungen in der obigen Ayah sind Handlungen der Rechtschaffenheit, und sie sind nur ein Teil des Gottesdienstes. Der Prophet Muhammad (a.s.s) berichtete über den Glauben, der die Grundlage des Gebets ist, daß er "aus über 60 Zweigen besteht: der Höchste von ihnen ist der Glauben an die Einheit Allahs, d.h. es gibt keinen Gott außer Allah, und die unterste auf der Skala des Gebets ist die Beseitigung des Schmutzes auf dem Weg."

Sittsames Werk wird im Islam als eine Art Gebet betrachtet. Der Prophet Muhammad (a.s.s) sagte: " Wer sich bei Einbruch der Nacht müde von seiner Arbeit findet, dem wird Allah seine Sünden vergeben". Das Aneignen von Wissen ist eine der höchsten Arten des Gebets. Der Prophet Muhammad (a.s.s.) sagte seinen Gefährten, " das Streben nach Wissen ist eine (religiöse) Pflicht eines jeden Muslim". In einer anderen Aussage sagte er, "Streben nach Wissen für die Dauer einer Stunde ist besser als 70 Jahre beten". Soziale Höflichkeit und Zusammenarbeit sind Teil des Gebets, wenn sie um Allahs Willen getan werden, wie es der Prophet Muhammad (a.s.s.) ausdrückte: " Das Anlächeln deines Bruders (im Islam) ist ein milde Gabe und etwas Wasser in den Schöpfeimer deines Nachbars ist eine milde Gabe".

Es ist wichtig zu erwähnen, daß sogar die Erfüllung der Pflichten als Gebet angesehen wird. Prophet Muhammad (a.s.s.) sagte, daß was man auch immer für seine Familie ausgibt, eine Art milde Gabe ist; er wird für sie belohnt, wenn er sie durch islamisch legale Mittel erwarb. Die Güte den Mitgliedern der Familie gegenüber ist eine Akt des Gebets; wenn man z.B. ein Stück Nahrung in den Mund seiner Gemahlin tut, wie der Prophet Muhammad (a.s.s.) berichtete, ist das ein Akt des Gebets. Und nicht nur das, sondern auch die Handlungen, die wir genießen, wenn sie entsprechend den Anweisungen des Prophet Muhammad (a.s.s.) verrichtet werden, werden als Handlungen des Gebets angesehen. Der Prophet Muhammad (a.s.s.) sagte seinen Gefährten, daß sie sogar für den sexuellen Verkehr mit ihren Ehefrauen belohnt werden. Die Gefährten waren erstaunt und fragten: " Wie könnten wir belohnt werden für etwas, was wir genießen ? " . Der Prophet Muhammad (a.s.s.) fragte sie: " Angenommen ihr würdet eure Gelüste illegal befriedigen, würdet ihr dafür nicht bestraft ? " Sie antworteten: " Ja " . " Genauso ",sagte er, " werdet ihr dafür belohnt, wenn ihr sie legal mit euren Ehefrauen befriedigt". Die Belohnung für diesen Akt bedeutet, daß er eine Handlung des Gebets ist. Der Islam betrachtet den Sex nicht als eine schmutzige Handlung, die man meiden soll. Er ist schmutzig und eine eine Sünde, nur wenn er außerhalb des ehelichen Lebens befriedigt wird.

Aus dem oben Ausgeführten wird deutlich, daß das ' Gebet ' im Islam ein umfangreicher Begriff ist, der alle positiven Handlungen eines Individuums einschließt. Dies ist natürlich in Übereinstimmung mit der alles einschließenden Natur des Islam als eine Lebensweise. Er reguliert das Leben des Menschen auf allen Ebenen: die individuelle, die soziale, die wirtschaftliche, die politische und die geistige. Deshalb gibt der Islam Rechtleitung für die kleinsten Details im Leben eines Menschen auf allen Ebenen. Die Befolgung dieser Einzelheiten bedeutet die Befolgung der islamischen Anweisungen auf dem jeweiligen Gebiet. Es ist eine sehr wesentlicher und ermutigender Umstand, wenn man erkennt, daß alle diese Handlungen von Allah als Handlungen des Gebets betrachtet werden. Dies sollte das Individuum dazu führen, daß es in seinen Handlungen nach Allahs Gefallen strebt und ständig versucht, sie in dieser bestimmten Art und Weise zu tun, unabhängig davon, ob er sie vor den Augen seiner Vorgesetzten vollbringt oder nicht. Denn er wird von dem überwacht, der allwissend ist: ALLAH.

Daß wir bis jetzt die rituellen Gottesdienste nicht behandelt haben, heißt nicht, daß wir ihre Wichtigkeit unterschätzen. Tatsache ist, daß die rituellen Gebete, wenn sie mit echtem Geist verrichtet werden, den Menschen moralisch und seelisch heben und ihn befähigen, seine Handlungen in allen Situationen des Lebens gemäß der Rechtleitung Allahs zu vollbringen. Unter den rituellen Gebeten nimmt die Salah (das rituelle Gebet) die Schlüsselstellung aus zweierlei Gründen ein. Erstens ist sie das charakteristische Merkmal eines Gläubigen. Zweitens schützt sie das Individuum vor allen Schändlichkeiten und Verderbtheiten dadurch, daß sie ihm 5 mal täglich eine unmittelbare Verbindung mit seinem Schöpfer ermöglicht. Dabei erneuert es seinen Bund mit Allah und sucht Seine Rechtleitung immer wieder:

(Sprich): Dir allein dienen wir und Dich allein bitten wir um Beistand. Führe uns den geraden Weg (1: 5-6)

In der Tat, die Salah ist die erste praktische Äußerung des Glaubens und auch die erste Grundbedingung für den Erfolg des Gläubigen:

Wohl ergeht es den Gläubigen, die in ihrem Gebet demütig sind (23: 1-2)

Dieselbe Tatsache wurde von dem Propheten Muhammad (a.s.s.) in verschiedenen Weisen betont: " Diejenigen, die ihre Salah mit Sorgfalt und Pünktlichkeit verrichten, werden sie finden (als) ein Licht, einen Beweis für ihren Glauben und eine Ursache für ihre Erlösung am Tage des Gerichts."

Nach der Salah ist die Zakah eine wichtige Säule des Islam. Im Qur'an werden Salah und Zakah meistens zusammen erwähnt. Wie die Salah ist auch die Zakah eine Äußerung des Glaubens, die bezeugt, Daß Allah der einzige Besitzer aller Dinge im Universum ist, und was die Menschen haben ist ein Treubesitz in ihren Händen, über den Allah sie zu Treuhändern macht, damit sie ihn ausgeben, wie Allah es vorgeschrieben hat:

Glaubet an Allah und Seinen Gesandten und spendet von dem, worin Er euch zu Nachfolgern gemacht hat (57:7)

In dieser Hinsicht ist die Zakah eine Handlung der Frömmigkeit, die, wie die Salah, den Gläubigen näher zu seinem Gott bringt.

Außerdem ist die Zakah ein Mittel der Vermögensverteilung in einer Art und weise, die die Unterschiede zwischen den Klassen und Gruppen reduziert. Sie leistet einen deutlichen Beitrag zur sozialen Stabilität. Durch das reinigen der Seele der Reichen von Selbstsucht und der Seelen der Armen von Neid und Groll gegen die Gesellschaft, schließt die Zakah die Wege zum Klassenhaß und macht es möglich, daß die Quelle der Brüderlichkeit und Solidarität hervorströmt. Solche Stabilität ist nicht bloß auf die persönlichen Gefühle der Reichen gegründet: sie steht auf fest aufgebautem Recht, das, falls es von den Reichen ignoriert werden sollte, wenn nötig gewaltsam erzwungen wird.

Der Siyam (Das Fasten tagsüber während des Monats Ramazan) ist eine andere Säule des Islam. Die Hauptfunktion des Siyam ist , die Muslime "von innen" zu reinigen, wie andere Aspekte der Schari'a es "von außen" tun. Durch solche Reinheit geht er ein auf das, was wahr und gut ist, und hält sich vom Falschen und Bösen fern. Darauf verweist die folgende Ayah hin:

O ihr, die ihr glaubt, vorgeschrieben ist euch das Fasten, wie es denen vorgeschrieben war, die vor euch waren; vielleicht werdet ihr gottesfürchtig (2:183)

In einem authentischen Hadith berichtet der Prophet Muhammad (a.s.s.), daß Allah vom fastenden Menschen spricht und sagt: " Er verzichtet auf das Essen, das Trinken und das Befriedigen seiner sexuellen Leidenschaften wegen mir." Daher wird seine Belohnung der göttlichen Freigebigkeit entsprechen.

Das Fasten erweckt das Gewissen des Individuums und gibt ihm die Möglichkeit des gemeinsamen Gebets aller Gesellschaften zur gleichen zeit, was jedem Individuum weiter Kraft gibt. Darüberhinaus bietet das Fasten dem überarbeiteten menschlichen Körper eine Zwangspause für die Dauer eines ganzen Monats. Gleichermaßen erinnert das Fasten das Individuum an diejenigen, die während des Jahres oder während des Lebens von Grundbedürfnissen ausgeschlossen sind. Es läßt ihn das leiden andere wenig begüterter Brüder im Islam erfahren, was in ihm den Sinn für Mitgefühl und Freundlichkeit ihnen gegenüber fördert.

Zum Schluß kommen wir zum Hadsch (Pilgerfahrt zum Haus Allahs in Mekka). Als einer der Grundpfeiler des Islam betont er einzige Einheit der Muslime auf der ganzen erde, indem er alle Unterschiede zerstreut. Muslime aus allen Teilen der erde, die gleiche Kleidung tragend, antworten dem Ruf des Hadsch in einer Stimme und Sprache: Labbaik Allahumma Labbaik (Hier bin ich zu Deinen Diensten Oh Allah, Deinem Ruf folgend). Der Hadsch ist eine Übung strenger Selbstbeherrschung und Kontrolle, wobei nicht nur die Vorschriften des Verlaufs der Pilgerfahrt befolgt werden, sondern sogar das Leben von Pflanzen und Vögeln unverletzlich wird, so daß alles in Sicherheit lebt:

So (sei es). Und wer Allahs Gebote ehrt, dem wird es gut ergehen bei seinem Herren (22:30)

So (sei es). Wer Allahs Gebäude ehrt, der beweist Herzensfrömmigkeit (22:32)

Die Pilgerfahrt gibt allen Muslimen der erde die Gelegenheit, sich jährlich in einer großen Versammlung zu treffen. Zeit und Ort dieser Zusammenkunft wurden von dem Einen Gott, dem Erhabenen Schöpfer, festgesetzt. Die Einladung für die Teilnahme gilt für jeden Muslim. Niemand hat die Macht, irgendjemanden zurückzuweisen. Jedem teilnehmenden Muslim ist volle Sicherheit und Freiheit garantiert, solange nicht er selbst diese Sicherheit verletzt.

So bildet das Gebet im Islam, ob rituelle oder nicht rituell, den Menschen auf eine solche Art aus, daß er seinen Schöpfer liebt und dabei einen unnachgiebigen Willen und Geist gewinnt, um alles Übel und Unterdrückung der menschlichen Gesellschaft zu beseitigen, und Allahs Wort als das einzige gültige für alle Belange des menschlichen Daseins auf erden zu machen.

Quelle: WAMY Reihe über den Islam Nr.: 08