Die Eurasische Zusammenkunft

Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Ideologie nähern sich Europa und Asien - Was sind die geopolitischen Folgen?



Die Einsicht, daß die ungeheuren Landmassen Europas und Asiens im Kauskasus und Zentralasien erneut geschichtlich zusammenstoßen, gehört zu den faszinierenden Ausblicken am Ende dieses zwanzigsten Jahrhunderts. Die vergangenen Jahrzehnte , gekennzeichnet durch die Phobie eines drohenden atomaren Weltkrieges hatte den Blick Europas auf den Nachbarn Asien und den Osten getrübt. Es ist ein bekanntes tiefenpsychologisches Problem , daß mit dem Osten gerne Ängste verbunden werden. Für den ordnungsliebenden Europäer waren die Landmassen des Osten schon jeher beängstigend und faszinierend zugleich.
Der europäische Nomos war über Jahrhunderte alleine mit der Ordnung und Befriedung des europäischen Kontinents beschäftigt. Das Ende des zweiten Weltkrieges bedeutete zugleich das Ende des alten landbezogenen europäischen Nomos. Die neue postmoderne Weltordnung war vorallem, nicht zuletzt zu Gunsten der neuen ökonomischen Interessen der See- und Luftmacht Amerika, notwendig planetarisch ausgefallen. Die NATO ist dementsprechend vorallem ein nord-atlantisches Bündnis.
Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges muß die geopolitische Lage Europas neu ins Gedächtnis gerufen werden. Die jahrzentelange künstliche Blockade und Isolierung Europas durch den Korridor kommunistischer Länder ist aufgehoben. Die bisher die Räume beherrschenden Ideologien sind untergegegangen. Die alten Handelswege und Handelsinteressen werden genauso wiederbelebt werden, wie der alte Streit, ob Moskau und Istanbul europäische Städte seien, neu entflammt ist.
Es leuchtet natürlich ein , daß das vereinte Deutschland zunächst dankbar feststellt, daß es seiner angestammten gefährlichen Mittellage entronnen und die Führungsmacht der europäischen Union geworden ist. Dennoch muß auch Deutschland sich auf einen neuen eurasischen Raum einstellen. Kanzler Kohl - der Baumeister des europäischen Wirtschaftsraums - wurde angeblich unlängst zitiert , daß "Anatolien bekanntermaßen nicht europäisch sei".
Dennoch sind die wesentlichen geopolitischen Interessen Deutschlands an der Türkei natürlich ungleich größer, als beispielsweise zu Griechenland. Auf jeden Fall zeigt diese Äußerung des führenden europäischen Politikers , daß ein neuer ungeheurer Landraum geistig neu zu ordnen ist. Hier enden auch naturgemäß die außenpolitischen Gemeinsamkeiten mit der Weltmacht Amerika.
Die zentralasiatischen Ländern erregen schon lange das Interesse und alte Begehrlichkeiten - nicht nur der Europäer. Merkwürdigerweise hatten schon zu Begin des Jahrhunderts genau diese geopolitischen Interessen an den Rohstoffen Zentralasiens eine entscheidende Rolle gespielt. Allein die Gewißheit um gigantischen Erdövorkommen haben die heutigen "Außenpolitiker" großer Erdölmogule aus Amerika und Europa in hektische Aktivität verfallen lassen. Sogar der alte Bär Russland hatte seine gierigen Klauen in das europäische Tschetschenien gestoßen. In unsicheren Zeiten sind die Kurse auch andernorts günstig.
Während in Europa kein Tag vergeht ohne Aufruhr gegen die unter dem Duktus globaler Zwänge initiierte Wirtschaftspolitik , wird andernorts neu gewonnenes Kapital investiert.
Kasachstan wurde neuerdings in der Beilage einer großen deutschen Tageszeitung in nicht unbeachtlichem Umfang zum Verkauf angeboten. Usbekistan - ein Land mit großen Goldvorkommen - wird es verwehrt eine eigene Währung zu bekommen - würde man es zulassen , wäre Usbekistan eines der reichsten Länder der Welt. Nach der platonischen Einteilung erinnern diese jungen Nationen in ihrer Verfasstheit eher an simple Oligarchien.
Das alte imperiale, in Afrika erfolgreiche Spiel, die Rohstoffe gegen umfangreiche Kredite einzulösen wiederholt sich.
Die türkische Lira oder der Rubel befähigen nicht gleichermaßen zur strategischen Imperialpolitik. Die Industrienahme in fremden Ländern im großen Stil, wie Spötter sagen "die Besatzungspolitik der Ökonomen" , bleibt vorallem den westlichen Kapitalgesellschaften vorbehalten.
Die islamische Konkurrenz ist an sich natürlichen und offenbarten Grenzen unterworfen. Noch haben die islamischen Ulama den Wettberwerbsnachteil "Zinsverbot" nicht ganz über Bord geworfen. Noch verstehen sie warum der Islam die Begrenzung von Kapital zum wesentlichsten und bedeutungsvollsten humanen Prinzip erklärt.
So bestimmen noch die alten politischen Konstellationen, Werte und Ordnungen die Regionen. Aber man spürt, daß die Bedeutung des fernen Amerika abnimmt.
War das zwanzigste Jahrhundert von See und Luftmächste bestimmt, so scheint das nächste Jahrhundert wieder den Landmächten zu gehören. Es ist logisch und folgerichtig , daß das Atlantikbündnis NATO keine geo-politisch einleuchtende Vision für Eurasien zu formulieren vermag.
Die alten Fragen sind schnell neu gestellt: Die Türkei ist ein traditioneller Ordnungsfaktor in Zentralsien aber was geschieht mit dem wankenden riesen Rußland - was bedeutet es für Eurasien , wenn über eine Miliarde Chinesen das Konsumverhalten Westeuropas zum Vorbild nehmen ?
Carl Schmitt , der umstrittene deutsche Rechtstheoretiker hatte in den fünfziger Jahren definiert, daß der Nihilismus die Trennung von Ordnung und Ortung sei. Hieraus versteht sich die Einebnung der Kulturen und unterschiedslose Angleichung der Lebensformen zwischen Shanghai und Brüsssel. Ein künftiger echter Nomos der Erde könne, nach Ansicht von Schmitt, nur von Landmächten erstellt werden. Die Ortung des Menschen wiederum ist ein unabdingbares Existential seines existential ausgerichteten In-der-Welt-seins. Die Konsequenz: nur wenn er eine Ortung hat ist er geerdet, gemäßigt, authentisch und kulturstiftend.
In diesem Sinne scheint die Türkei mit der geopolitischen lebendigen Ortung auf Istanbul eine stabile und daher ungeheurer wichtige und ordnende Größe in dem zentralasiatischen Großraum zu sein. Moskau , geschwächt von Willkür, Währungszerfall und Verbrechen, kann demgegenüber diese Funktion nicht mehr unterhalten - fraglich wird die Rolle Pekings sein.
Die Idee einer ortungslosen Weltdemokratie erscheint in diesen neuen Dimensionen jedenfalls mehr als fragwürdig. Vorallem die Gefahr der faktischen Auflösung der demokratischen Strukturen durch die Globalisierung der Märkte wird in Zentralasien unübersehbar. So muß die Frage erlaubt sein, was das Demokratische ist an dem Vorgang , daß ein belgisches Konsertium die Stromversorgung von Almaty aufkauft. Weder Belgier noch Kasachen hatten Einfluß auf diese energetische Wendung.
Aber auch das unlösbare Kernproblem der westlichen Demokratien, die Arbeitslosigkeit , wird in der Türkei , Turkmenistan oder in Russland auf Dauer unvorstellbare soziale Probleme mit sich bringen. Man kann sich vorstellen was es für diese Länder bedeutet , wenn schon die Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet den inneren Frieden des vergleichsweise reichen Deutschlands gefährdet. An ein staatlich monopoliertes Sozialsystem wird man in Zentralasien nicht einmal denken dürfen. Die primitive Kultur der "shareholder - value Imperative" wird zur Befriedung und Kultivierung dieser gigantischen Landräume kaum ausreichend sein.
In allen Ländern dieser zentralasiatischen Schlüsselregionen hat die Einführung der orthodoxen Marktwirtschaft eine dynamische und abgründige Spaltung der Gesellschaften zwischen arm und reich bereits tief fundmentalisiert. Eine soziale Antwort wurde nicht gegeben. Dies ist natürlich der alte Nährboden für neue Revolutionen.
China wird als Demokratie ebenfalls nicht ungefährlicher. Eine entfesselte Marktwirtschaft China wird einen unstillbaren Bedarf an Ressourcen haben, der die heutige Vorstellungskraft leicht übersteigt. Diese Entwicklung wird schon heute durch die weltweit akzeptierte Knechtung und Verfolgung der Muslime in Ostturkestan eingeleitet. Die Widersprüchlichkeit des westlichen Missionsdrangs bezüglich weltweiter Menschenrechte zeigt sich nirgendwo klarer als in der Chinapolitik.
China braucht die Ressourcen und Rohstoffe dieser islamischen Region und stellt natürlich die ökonomischen Interessen über die Wahrung der Rechte von 25 Millionen eingesperrter Muslime in China. Der globale Markt jedoch braucht in erster Linie die gigantische Nachfrage Chinas.
Eine vielgestellte Frage ist die, nach der künftigen Rolle des Islam in der Region. Die NATO - ein ideologisches Bündnis gegen den Kommunismus - hat den Islam , so meinen manche Beobachter, schon als neuen Feind dankbar angenommen. Dies ist zunächst kein defensiver, sondern ein destruktiver Gedankengang. Deswegen ist die Türkei als NATO-Partner , nicht jedoch als EU-Partner willkommen.Der Handel zwischen Istanbul und Mitteleuropa war im Mittelalter freier.
Da der Islam natürlich keine Ideologie ist, wird seine Bedeutung weiter zunehmen. Der Versuch den Islam ideologisch zu reduzieren oder zu instrumentalisieren wird wegen seiner eigentümlichen Organik auf Dauer niemanden gelingen können. Als einheitliche soziale , politische und wirtschaftliche Ordnung hat er den Raum bereits jahrhundertelang beherscht oder beeinflußt. Auch unter schwierigsten Verhältnissen - sogar unter dem Terror Stalins - hat er die Menschen im Kaukasus und anderswo eng verbunden. Gemäß der Lehre Ibn Chalduns glaubt er nicht an ewige Konstanz - schon eher an natürlichem Wechsel, an Auf- und Abstieg.
Es ist daher klug und angebracht den Islam nicht vorschnell zu verurteilen oder zu kategorisieren. Natürlich wird er ein gewichtiger geopolitischer Faktor sein.Vorallem dann, wenn sich die Muslime nicht auf Dauer auf Kleinstaaterei oder gar Nationalismus setzen.
Es ist auch eine geopolitische Option für Europa mit den islamischen Ländern eine friedvolle und gerechte Kooperation zu finden. Entsprechend dem Vorbild Europas werden auch die islamischen Nationen über kurz oder lang übernational zusammenfinden. Muslime und Europäer verbindet Fundamentales: Rasse ist weder für Europäer noch Muslime ein relevantes Kriterium. Dies ist positiv. Bedenklich ist langfristig vielmehr ob die Riesenreiche Chinas und Russlands noch durch humane Prinzipien gemäßigt und geordnet werden. Ist es nicht allgemein bedrohlich um die geistige Situation des Menschen bestellt, wenn schon die jahrtausendealte chinesische Kultur durch ein Jahrzehnt mäßig entfesselter Marktwirtschaft und Konsum erschüttert wird?
Sollte Europas Sorge daher nicht eher sein , ob nicht ein drohender altmodischer Nationalismus Russlands und Chinas das eigentliche Bedrohungspotential für Kultur und Frieden darstellt?

Quelle: Islamische Zeitung