Originaltext

Sura 104

(© Mürsid 1.0, astec GmbH)

104-AL-HUMAZAH

Übersetzung

Der Verleumder (offenbart in Mekka)

Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen

1. Wehe jedem Lästerer, Verleumder,

2. Der Reiehtum zusammengeschart hat und ihn berechnet Mal um Mal.

3. Er wähnt, sein Reichtum habe ihn unsterblich gemacht.

4. Nein! er wird sicherlich bald in das Verzehcende geschleudert werden.

5. Und was lehrt dich wissen, was das Verzehrende ist ?-

6. Das Feuer Allahs, das entzündete,

7. Das über die Herzen hinweg züngelt.

8. Es wird sich wölben über ihnen

9. In ausgestreckten Säulen.

  KOMMENTAR


KOMMENTAR ZU EL-HUMAYZA

Diese frühe mekkanische Sura trägt ihren Namen nach einem Wort in ihrem ersten Vers. Die Kommentatoren sind sich nicht einig darüber, welche Person aus der Zeit des Propheten Muhammad (a.s.s.) im besonderen mit dem »lästernden Verleumder« gemeint ist; genannt werden Al-'Ahnas ibn Suralq, der die Menschen zu bekritteln und zu tadeln pflegte, Al-Walid ibn al-Mugira, der den Propheten (a.s.s.) in dessen Anwesenheit beleidigte und auch hinter dessen Rücken verleumdete, Ubay ibn Halaf und schließlich Gamil ibn 'Amir vom Stamme der Taqif. Auch wenn nicht klar ist, ob mit dem »lästernden Verleumder« eine bestimmte Person gemeint ist oder nicht, so hat doch die im ersten Vers ausgesprochene Drohung »Wehe!« allgemeine Gültigkeit für jeden, der andere lästert oder verleumdet.

Die beiden Wörter humaza, »Verleumder«, und humaza, »Lästerer«, sind nach der arabischen Wortbildungslehre Formen der »Übertreibung«, die ausdrücken, daß jemand etwas Bestimmtes ständig oder immer wieder tut. Das Wort humaza ist abgeleitet von dem Verb hamaza, »verleumden, herabsetzten«; seine Grundbedeutung ist »anstacheln«, denn eine Verleumdung führt gewissermaßen zu einer Anstachelung und Aufhetzung der Verleumdeten und aller der Personen, die mit der Angelegenheit zu tun haben. Das Wort hunaza ist abgeleitet von dem Verb hamaza, " bekritteln, lästern > mit der Grundbedeutung »mit den Augen zuzwinkern«.

Ein derartiges Verhalten wird im Qur'an als höchst verabscheuungswürdig bezeichnet; so heißt es z. B. in Sura 49 (Al-Hucurát, Die Gemächer), Vers 11:

"O ihr, die ihr glaubt, lasset nicht die einen über die andern spotten, die vielleicht besser als sie sind. Auch Frauen sollen nicht über andere Frauen spotten; vielleicht sind diese besser als sie. Und bekrittelt euch nicht gegenseitig und gebt euch keine Schimpfnamen! Wie schlimm ist die Bezeichnung der Sündhaftigkeit, nachdem man den Glauben angenommen hat! Diejenigen aber, die nicht umkehren, sind die Ungerechten." Und im nächsten Vers derselben Sura heißt es sogar:

"O ihr, die ihr glaubt! Laßt euch nicht so viel auf Mutmaßungen ein! Mutmaßungen anstellen ist manchmal Sünde. Und spioniert nicht und sprecht nicht hintenherum schlecht voneinander! Möchte wohl einer von euch das Fleisch seines toten Bruders verzehren? Das wäre euch doch zuwider! Fürchtet Allah! Er ist gnädig und barmherzig!" Im zweiten Vers der Sura 104, "der ein Vermögen zusammenträgt und es zurücklegt", bezieht sich das Wort "der" auf den im ersten Vers genannten »lästernden Verleumder«, so daß man hieraus schließen könnte, daß möglicherweise mit dieser Bezeichnung doch eine beistimmte Person aus der Zeit des Propheten (a.s.s.) gemeint ist, denn nicht jeder »lästernde Verleumder« ist unbedingt auch jemand, »der ein Vermögen zusammenträgt und es zurück-legt«. Es kann jedoch auch gemeint sein, daß ein »Lästernder Verleumder« in den meisten Fällen auch ein habgieriger, geiziger Mensch ist, auch wenn diese zweite Eigenschaft nicht Bedingung für die erste ist. Wie dem aber auch sei - die Drohung »Wehe!« gilt, wie bereits erwähnt, allgemein für jeden Krittler und Verleumder, und sie gilt ebenso für jeden, »der ein Vermögen zusammenträgt und es zurücklegt«, in welchem Zeitalter er auch leben mag.

Der Verleumder, wie er in dieser Sura beschrieben wird, trägt also ein Vermögen zusammen und legt es für schwere Zeiten, für die Wechsel-fälle des Lebens oder für seine Kinder und Erben zurück. Nach einigen Kommentatoren bedeutet das Wort 'addadah nicht »zurücklegen, bereit-stellen«, sondern »zählen« oder »stolz sein auf, sich rühmen mit«. Gemeint ist mit der Aussage in diesem Vers der Geiz und das Zurückhalten des Vermögens, so daß sein Besitzer es hortet und spart und nicht für gute und Allah (t) wohl-gefällige Zwecke ausgibt. Besitz von Vermögen allein gilt im Islam keineswegs als verwerflich - einige Gefährten des Propheten (a.s.s.), wie z. B. 'Uthman ibn 'Affän ®, der spätere dritte Kalif, waren reich und hatten ihr Vermögen auf recht- mäßige Weise erworben, doch sie hielten es nicht in Geiz und Habgier für sich selbst oder ihre Erben zurück, wenn von ihnen verlangt wurde, es für die Sache Allahs (t) auszugeben. Auch dieser Vers richtet sich nicht gegen den Besitz von Vermögen an sich, sondern vielmehr gegen das Zurückhalten reichlich vorhandenen Vermögens von seiner Verwendung für wohltätige und der islamischen Gemeinschaft nützliche Zwecke, und ein derartiges Verhalten gilt also als höchst tadelnswert.

Auch andere Qur'an-Stellen nehmen darauf Bezug; so heißt es z. B. in Sura 68 (Al-Qalam, Das Schreibrohr), Vers 10 - 12:

»Und gehorche keinem verächtlichen Schwörer (d. h. jemandem, der bei jeder Gelegenheit immer gleich schwört), Verleumder, der üble Nachrede verbreitet, der das Gute (über das er verfügt, anderen) vorenthält, Übertreter, Sünder!« Und in Sura 70 (AI-Ma'árig 179, Die Himmelstreppe), Vers 17 - 18 lesen wir:

Es (nämlich das Höllenfeuer) ruft (zu sich alle) diejenigen, die (der Wahrheit) den Rücken kehren und sich abwenden, und die (Geld und Gut) zusammentragen und horten.« Wie abscheulich ein derartiger Geiz in den Augen Allahs (t) ist, wird insbesondere deutlich in Sura 9 (At-Taúba, Die Reue), Vers 34 - 35, wo Allah (t) die Strafe dafür schildert:

«...Diejenigen nun, die Gold und Silber horten und es nicht um Allahs willen spenden, verkünde ihnen schmerzhafte Strafe am Tage, da es (d. h. das gehortete Gold und Silber) im Feuer der Hölle heiß gemacht wird und ihnen Stirn, Seite und Rücken damit gebrandmarkt werden (und zu ihnen gesagt wird): , Das ist es, was ihr für euch selbst gehortet habt. So schmeckt nun, was ihr gehortet habt!«

Das Wort, das im Arabischen für »unsterblich machen« im dritten Vers dieser Sura steht, lautet ahladah. Nach einigen Kommentatoren ist damit gemeint, daß die erwähnte Person glaube, das gehortete Vermögen schenke ihr ein langes Leben, länger als das der Armen. Nach Meinung anderer wird in diesem Vers eine Lebenseinstellung beschrieben, die so ausschließlich auf das Diesseits und auf den Erwerb materieller Güter gerichtet ist, als ob der Mensch unsterblich sei, als ob er nicht all diese Besitztümer mit seinem Tode verlieren würde oder als ob er sich durch sie Unsterblichkeit erkaufen könne.

Wohl noch nie in der Geschichte der Menschheit war diese materialistische Lebenseinstellung so verbreitet wie in unserer Zeit und insbesondere in der westlichen Welt: Konsum und der Erwerb materieller Werte sind für viele Menschen gleichsam zum eigentlichen Lebensinhalt geworden. Die Vorstellung, einmal sterben zu müssen, ist ihnen so unerträglich, daß sie diesen Gedanken völlig aus ihrem Bewußtsein verdrängen, den Tod aus ihrem Denken einfach ausklammern - so, als seien sie unsterblich, obwohl auch der Begriff der Unsterblichkeit schon ihrem Denken fremd geworden ist.

Gerade dieser Vers zeigt also in großartiger Deutlichkeit, daß die qur'anischen Aussagen auch 1400 Jahre nach ihrer Offenbarung nicht im mindesten von ihrer Aktualität verloren haben, sondern daß sie in aller Welt und zu allen Zeiten ihre Gültigkeit haben.

Im vierten Vers folgt nun klar und abweisend die Antwort von Dem, Der weiß, daß kein materielles \Vermögen das Leben des einzelnen auch nur um einen Moment über die Frist hinaus zu verlängern vermag, die Allah (t) ihm gesetzt hat:

»Aber nein!«

Stattdessen hat der »lästernde Verleumder«, der »ein Vermögen zusammenträgt und zurücklegt«, zu erwarten, daß er in Al-Hutama geworfen wird.

Hutama ist wie die beiden Wörter Hunaza und Humaza nach demselben grammatischen Muster eine Form der »Übertreibung«. Es ist abgeleitet von dem Verb hattama, »zerbrechen, zerschmettern, zertrümmern«. Al-Hufama heißt also eigentlich »der Zerbrecher, der Zerschmetterer«. Weil man sich aber unter diesem Begriff nur schwer etwas Bestimmtes vorstellenkann, kommt nach der rhetorischen Frage:

Doch was läßt dich wissen, was Al-Hutama ist?« im fünften Vers eine genauere Angabe darüber im sechsten Vers:

»Es ist Allahs in der Hölle angezündetes Feuer.«

Dies ist nicht irgendein Feuer, wie wir es im diesseitigen Leben kennen, sondern das Feuer Allahs (t), das Er erschaffen hat, um darin die Menschen zu bestrafen, die nicht an Ihn glauben wollen oder Seine Gebote und Verbote mißachten. Es ist das Höllenfeuer, das alles und jeden zerbricht, der hineingeworfen wird - möge Allah uns von ihm fernhalten, amin.

Immer wieder im Qur'an weist uns Allah (t) in Seiner Gnade auf dieses »Feuer« hin und schildert die Qualen der Hölle, um die Menschen zu warnen und sie von frevelhaftem Tun abzubringen. Dieses von Allah (t) angezündete Feuer erlöscht niemals, und sein »Vordringen bis zum Innersten der Herzen«, wie es im siebten Vers beschrieben wird, bedeutet, daß es die Leiber der Verdammten ganz verzehrt bis auf das Innerste der Herzen. Sodann bekommen die Insassen dieses Feuers neue Leiber, die ebenfalls vom Feuer verzehrt werden, und so fort, so daß sie andauernde Pein erleiden müssen. Würde auch das Innerste der Herzen vom Feuer vernichtet, müßten die Verdammten sterben und hätten als Tote keinen Schmerz mehr zu ertragen. So aber empfinden sie mit dem Innersten ihrer Herzen den gesamten Schmerz und befinden sich in einem Zustand, der weder Leben noch Tod ist. In Sura 87 (AI-'A'la, Der Höchste), Vers 11-13 heißt es dazu:

»...der Unseligste, der im großen Feuer schmoren wird und dann darin weder sterben noch leben kann.« Das »Innerste des Herzens< ist der Sitz für die Entscheidung des Einzelnen, ob er den Weg des Glaubens oder den des Unglaubens einschlagen und schlechte Taten begehen will. Darin sehen einige Kommentatoren den Grund, warum das Innerste der Herzen hier besonders erwähnt wird.

Das Feuer Al-Hutuma oder die von ihm ausgehenden Flammen die im achten Vers genannt werden, schlagen über den Verdammten zusammen, so daß sie völlig vom Feuer umgeben und darin eingeschlossen sind. Dies wird auch in Sura 90 (Al-Balad, Die Ortschaft), Vers 20 beschrieben:

»Über die genauere Erklärung der langgestreckten Säulen im letzten Vers dieser Sura sind sich die Kommentatoren nicht ganz einig. Nach einigen sind es Fesseln und Blöcke, in die Füße, Hände oder Nacken gelegt werden, nach anderen Stangen (aus Höllenfeuer), mit denen die Verdammten gepeinigt werden. Am ehesten ist jedoch anzunehmen, daß es sich dabei um die hoch emporschießenden Flammen handelt, die wie Säulen wirken und wie Säulen den Baldachin von Feuer tragen, in dem die Verdammten wie in einem Käfig eingeschlossen sind. Möge uns Allah (t) vor dieser Strafe bewahren!

Lehre

  1. Verleumdung, Krittelei, Lästerung und Schmähung anderer sind tadelnswerte Handlungen, die der Islam verbietet, und all denen, die sie begehen, setzt Allah (t) ein warnendes »Wehe!« entgegen - dies bedeutet, daß sie im Jenseits eine Strafe für diese Handlungen zu erwarten haben, sofern sie diese nicht bereuen und keine Buße dafür tun.
  2. Der Besitz von Vermögen allein ist keine Sünde, aber all denen, die ihr Vermögen horten und es in Geiz und Habgier von der Verwendung für Allah (t) wohlgefällige Zwecke zuruckhalten, gilt ebenfalls dieses drohende »Wehe!« Allahs (t).
  3. Der Glaube, daß nur Reichtum allein alles auf der Welt bedeute, ist falsch. Die »Anbetung« des Götzen Mammon, des Reichtums, die viele Menschen so leben läßt, als seien sie unsterblich, vermag ihren von Allah (t) festgesetzten Todestermin auch nicht nur eine Sekunde hinauszuschieben
  4. Wer eine der beiden oben genannten Sünden begeht und nicht bereut, dessen Strafe im Jenseits besteht darin, daß er in das Höllenfeuer Al-Hutama geworfen wird.
  5. Das von Allah (t) angezündete oder erschaffene Höllenfeuer hat nicht dieselben Eigenschaften wie irgendein Feuer auf der diesseitigen Welt. Es dient dazu, die Verdammten zu bestrafen.

Und Allah (t) weiß es am besten!